Das Labyrinth von Ragusa: Roman (German Edition)
die Goran so gründlich am Auslaufen gehindert haben, wie du siehst, haben uns jahrelang mit schlechter Musik gequält. Jetzt quälen uns die Türken mit einer anderen Art von schlechter Musik. Wenn du dich in Dubrovnik umschaust, wirst du feststellen, daß die meisten Leute keine Ohren haben. Besonders den Mädchen werden die Ohrmuscheln gleich nach der Geburt abgeschnitten, damit sie es später einmal leichter haben als wir.«
»Ah. Fesselnde Gepflogenheiten scheint ihr zu haben. Dann werden Sänger wahrscheinlich entmannt, oder?«
»Nicht nötig.« Goran machte ein überaus ernstes Gesicht. »Die meisten Sänger sind sowieso Eunuchen.«
Ich hob mit dem Holzlöffel ein Stückchen Fisch aus der Suppe. »Und der hier? Hat er noch etwas gesagt, ehe ...?«
Velimir hob den Kopf und brüllte: »Branko! Hat der Fisch geplaudert, als du ihn gerupft hast?«
Der Wirt näherte sich mit kleinen Schleichschritten. Er brachte einen Krug und einen weiteren Becher mit. »Alle Fische singen, wenn man sie rupft«, sagte er.
Ich wartete, bis er sich zu uns gesetzt und alle vier Becher gefüllt hatte.
»Gibt es hier denn auch Drachen?« sagte ich.
»Drachen?« Goran blinzelte. »Ich bin ja nicht von hier; wißt ihr mehr?«
»Die haben unsere Ahnen, die am Busen des Herrn ruhen mögen, in den Kanal gelockt.«
»Welchen Kanal?«
»Nicht in Venedig, wenn du das meinst. Den Kanal, der früher den Eichenhain Dubrovnik mit dem Felsen Ragusa verband. Sie haben sie hineingelockt und dann alles zugeschüttet, und heute ist das die Hauptstraße zwischen den beiden Toren – Stradun, klar?«
Gewaschen, ausgeruht und mit frischer Kleidung begab ich mich am Morgen auf den Weg zur Stadt; Goran begleitete mich, um sicher zu sein, daß ich mich nicht verirrte. Unterwegs erzählte er von Türken und Venezianern, von den monatlich wechselnden Rektoren der Republik Ragusa, die erst zwei Jahre danach wieder zur Wahl antreten durften, von den Fehden zwischen reichen Sippen und dem ewigen Tanz am Rande des Abgrunds, den Dubrovnik vollführte, um nach innen frei und von außen unbedroht zu sein.
»Lassen wir jetzt mal die singenden Fische und die fiedelnden Drachen beiseite«, sagte ich. »Wie sieht es denn wirklich mit der Unabhängigkeit aus? Zum Beispiel zwischen Orebic und Korcula?«
Er grinste und murmelte etwas; dann sagte er: »Korcula gehört den Venezianern; angeblich ist ja deren großer Märchenerzähler Marco Polo dort geboren ...«
»Das sieht man in Venedig anders.«
»Mag sein. Ich sage ja auch ›angeblich‹. Die Türken haben uns angewiesen, nur über die Hauptstadt, also Dubrovnik, mit dem Westen Handel zu treiben. Und natürlich halten wir uns daran. Keiner von uns da oben käme je auf den Gedanken, etwa die Meerenge zu überqueren und Verwandte oder Freunde in Korcula zu besuchen.«
»Niemals?«
»Sicher nicht öfter als einmal alle paar Tage. Wie du siehst, sind wir gute Untertanen des Sultans.«
»Habt ihr denn etwas von seiner ... seinem Schutz?«
»Er sorgt dafür, daß Venedig nicht allzu gierig ist, was unsere Ländereien und Häfen angeht.«
Ich betrachtete die Leute, die auf den Straßen unterwegs waren. Alle sahen wie gewöhnliche Anwohner der Mittelmeerküsten aus; niemand trug Turban oder andere fremdartige Gewänder.
»Gibt es denn viele Türken hier?«
Goran seufzte leise. »O deine Neugier, Jakko. Nein, nicht viele – es gibt den Gesandten, der hin und wieder so tut, als ob er uns Anweisungen geben müßte. Und natürlich Händler und Spione, wie schon gesagt. Aber keine Soldaten. Wir sind eben freie Untertanen des Sultans. Er hat anderswo genug Bedarf an Truppen und Kanonen; warum sollte er welche zu uns schicken, die wir doch brav gehorchen, indem wir nicht weiter auf ihn achten?«
Dann endlich sah ich die vielbesungenen Mauern der alten Stadt: ein helles Band, eine Schärpe, die aufwärts- und abwärtswogte, den Erhebungen und Senkungen des Bodens folgend, hier und da von Festungstürmen überragt, links der steile Berg, dem heiligen Sergius geweiht, und auf der anderen Seite das blaue Meer.
Vor dem Pile-Tor klopfte Goran mir auf die Schulter. »Hier verlasse ich dich«, sagte er. »Ich habe noch mit ein paar Händlern zu sprechen, ehe ich heimreisen kann. Es wird dauern; sie alle sind ebenso begierig darauf, Waren nach Orebic schaffen zu lassen, wie sie begierig sind, ihre Münzen nicht dafür auszugeben. Man wird sehen.«
Ich deutete eine knappe Verneigung an. »Ich danke für die
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