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Das Labyrinth von Ragusa: Roman (German Edition)

Das Labyrinth von Ragusa: Roman (German Edition)

Titel: Das Labyrinth von Ragusa: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Gisbert Haefs
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Schänken (vielleicht habe ich auch mehrmals in der gleichen Taverne gefragt, die sich nicht von den anderen unterschied), ob ich abends in ihren Räumen die Fiedel spielen dürfte. Bei einer Schänke in einer Nebengasse nicht weit vom Palast des Rektors versuchte ich es gewissermaßen umgekehrt: Ich aß gebratenen Fisch, Brot und Lauch, trank verdünnten Wein, zahlte und fragte dann erst, was man von Musik halte. Der Schankdiener verwies mich an den Wirt; der Wirt hob die Brauen und musterte mich von Kopf bis Fuß.
    »Spielst du so gut, wie ich koche?« sagte er.
    »Das Essen war vorzüglich; wie könnte ich mir anmaßen, deine Gäste durch allzu gute Musik von den Speisen abzuhalten?«
    Er verzog den Mund. »Dann spielst du wahrscheinlich so schlecht, daß es einem das Essen verdirbt, wie?«
    »Herr«, sagte ich, »deine Speisen sind so gut, daß nichts sie verderben kann. Und du brauchst dich auf kein Wagnis einzulassen. Wenn es dir oder den Gästen mißfällt, schick mich weg. Wenn das, was ich spiele, gefällt, essen und trinken sie vielleicht mehr und bleiben länger. Wenn sie mir danach eine Münze in den Hut werfen – nachdem sie dich bezahlt haben, versteht sich –, verlierst du nichts. Am Ende gewinnen alle.«
    Er stemmte die Fäuste in die Hüften und schüttelte den Kopf. Aber er lächelte ein wenig, als er sagte: »Alle Musiker und Bettler sind gleich; jeder erzählt eine andere Lüge – aber sei’s drum. Wir wollen es versuchen.«
    Ich konnte meinen Beutel, den Mantel und die Fiedel in einem Verschlag neben der Küche lassen, bis zum Abend. Danach fühlte ich mich leichter, ohne Gepäck und ohne den Zwang, weitere Wirte zu behelligen. Bis kurz vor Sonnenuntergang lief ich durch die Stadt – nicht kreuz und quer, was die rechtwinklige Anlage mir nicht erlaubte. Hinter der Kathedrale, an der Seeseite, wollte ich einen der Aufgänge zur Mauer nehmen, aber anders als am Pile-Tor stand hier ein keineswegs gelangweilter Wächter. Er schüttelte den Kopf, hielt seine Pike quer und sagte etwas.
    »Mein Kroatisch reicht eben dazu, dir einen guten Abend zu wünschen«, sagte ich.
    Er grinste. »Fremde nicht auf Mauer.«
    »Ah. Schade. Ich hätte gern ...«
    »Nix. Fremde nicht auf Mauer. Weggehen.«
    Ich legte eine Hand auf die Brust und machte kehrt. Es war nicht eben eine Überraschung; dennoch fragte ich mich, was man von dort oben sehen könnte und nicht sehen sollte. Da man ungehindert durch die Stadt laufen konnte, in der es nichts Geheimnisvolles zu sehen gab. Oder doch?
    Als ich die Schänke erreichte, war etwa die Hälfte der Plätze besetzt. Es mochten an die fünfzehn Männer und drei Frauen sein, die sich leise unterhielten, tranken und auf das Essen warteten. Der Wirt wies mir einen Schemel gleich neben der Eingangstür zu und stellte mir einen Becher mit verdünntem Wein hin. Ich holte die Fiedel, packte sie aus, stimmte und begann zu spielen.
    In den langen Jahren der Kriegszüge und der Rache hatte mich das Instrument, meine Freundin, oft gerettet, zerstreut, ernährt und geheilt. Blutrünstige, verrohte Krieger hatten darauf verzichtet, mir die Kehle durchzuschneiden, um sich zu den Klängen zu betrinken oder Lieder zu grölen; an anderen Tagen, in Gegenden, in denen es nichts Eßbares zu kaufen gab (oder zu Zeiten, da ich kein Geld zeigen durfte, wenn ich leben wollte), hatte die Musik mir Brot, dünnes Bier, oft auch ein Nachtlager eingebracht. Im ärgsten Elend, als mein Körper eben noch heil war, die Seele sich jedoch zu Fasern und Fransen auflösen wollte, hatte ich unbewußt die Stränge mit Bändern aus Musik umwickelt (oder, besser, umranken lassen – zugelassen, daß Musik etwas tat, wozu ich, der ich sie hervorbrachte, nicht fähig war). Hinter Klängen hatte ich mich verbergen können, oder sie waren imstande gewesen, im schlimmsten Durcheinander das Gegenteil von verbergen zu bewirken, jene Aufmerksamkeit zu verschaffen, deren ich gerade bedurfte. Diesmal aber hatte die Musik nichts mit mir zu tun. Ich spielte ein paar schnelle, muntere Tänze, dann langsamere, fast schwermütige Melodien, beobachtete die Gäste der Schänke, las aus ihren Blicken und Bewegungen und Mienen, was sie hören oder nicht hören wollten, und machte nach etwa einer halben Stunde eine erste Pause.
    Es gab die üblichen Beifallsgeräusche – Klopfen und Fußscharren. Der Wirt kam auf dem Rückweg von einem der Tische vorbei und sagte leise: »Recht so. Laß sie ein wenig essen und trinken, und dann

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