Das Labyrinth von Ragusa: Roman (German Edition)
Tauwerk, nasse Hölzer, ein Hauch von Pech. Und Herdfeuer mit all den Ausdünstungen von Menschen und Haustieren und dem, was abends zum Essen bereitet wird.
Am Kopf einer aufgeschütteten Mole fand ich eine Art Taverne, die wohl auch als Gemeinderaum diente. Der große Saal war von zwei stinkenden Fackeln kaum erhellt, und abgesehen vom Wirt hielten sich nur zwei alte Männer darin auf. Sie saßen an einem Tisch neben einem offenen Fenster, starrten hinaus auf die Bucht, die immer dunkler wurde, und hielten sich an großen Bechern fest. Alte Seeleute, dachte ich, die ihre Erinnerungen vertrinken und einander beredt anschweigen.
Der Wirt stand vor dem gemauerten Herd und rührte mit einem langen Holzlöffel in einem Topf. Er drehte sich nicht zu mir um, wandte nur den Kopf, als ich dobra večer sagte und fragte, ob er ein wenig Italienisch verstehe.
»Venezianische Halunkensprache?« sagte er. »Was willst du?«
»Essen«, sagte ich, »trinken, ein Nachtlager, eine Waschgelegenheit.«
»Waschen will er sich?« Nun drehte er sich ganz um, redete aber nicht zu mir, sondern laut in den Raum, zu den beiden Alten.
Einer der beiden sagte etwas auf Kroatisch; dann setzte er hinzu: »Damit die schönen Frauen der Stadt nicht gleich umfallen, wenn er sich ihnen nähert?«
Der zweite musterte nicht mich, sondern mein Gepäck, das ich an einen Tragepfosten gelehnt hatte. »Was ist das? Violine?« Mit etwas, das eher wie Holz denn wie Fleisch aussah, deutete er auf den kleinen Kasten.
»Meine Fiedel«, sagte ich. »Wenn Musik hilft, meine Wünsche zu erfüllen, will ich gern spielen. Wenn Stille hilft, will ich es gern unterlassen.«
»Fischsuppe, Brot und Wein.« Der Wirt rührte wieder in dem Topf und wandte mir den Rücken zu. »Und keine Musik, sondern Münzen.«
»Venezianisches Geld?«
»Was hast du?«
»Ein paar silberne grossi und viele piccoli.«
»Ah. Kein Gold?«
»Wenn ich Zechinen hätte, um für Suppe zu bezahlen, könntest du denn wechseln?«
Er wandte mir das Gesicht zu; im Flackerlicht der Fackeln sah ich ein schräges Grinsen und schadhafte Zähne. »Wenn ich den Gegenwert festsetze ... Sonst müßtest du sehr viel Fischsuppe essen.«
»Er will nicht bis nächstes Jahr bleiben, nehme ich an«, sagte einer der Alten. Er klopfte auf den Tisch. »Komm, setz dich zu uns. Was wir einander zu erzählen haben, kennen wir seit Jahren auswendig. Vielleicht weißt du ja etwas Neues. Wie heißt du, Fremder? Und woher kommst du? Venedig?«
»Jakko. Oder Jakob, Jacobus, Giacomo.« Ich setzte mich zu ihnen. »Ich war länger in Venedig, das stimmt, aber eigentlich komme ich aus Deutschland.«
»Wir haben unser Leben mit Wasser und Holz verbracht«, sagte der Mann mit der Holzhand. »Deswegen trinken wir jetzt kein Wasser, aber das Holz werden wir nicht los.«
Er hieß Velimir, der andere Goran. Beide waren um die sechzig und hatten ihr Brot mit dem Bau kleiner und größerer Schiffe verdient.
»Sägen, weißt du«, sagte Goran; er deutete auf Velimirs linke Hand. »Und andere Unfälle.« Er zupfte an seinem rechten Hosenbein. Als ich mich vorbeugte, sah ich, daß darunter kein Fleisch war. Vom Knie abwärts hatte er dunkles poliertes Holz.
»Gibt es hier mehr solche wie euch? Schiffbauer und Holzträger?«
Goran gluckste. »Einige. Aber ich bin nicht von hier. Ich bin aus dem Norden, aus Orebic. Gegenüber von Korcula.«
Velimirs Hand war ein wenig dunkler als sein Gesicht. Beide Ersatzglieder hatten längere Geschichten; bis der Wirt uns Näpfe mit Fischsuppe brachte, kannte ich die gröberen Einzelheiten und wußte auch, daß Gorans hoher Norden, kaum sechzig Seemeilen von Gruz beziehungsweise Dubrovnik entfernt, »nicht richtig lustig« sei: Venezianische Schiffe ließen die Boote der Republik Ragusa nicht aufs offene Meer hinaus. »Jedenfalls da oben«, sagte Goran. »Hier ist das anders; Dubrovnik wird nicht gesperrt, aber bei uns könnte jeder Fisch ein Türke sein.«
»Gibt es hier viele? Türken, meine ich.«
Velimir hob die Schultern. »Wir gehören ja zum Osmanischen Reich, deshalb sind dauernd Händler und Gesandte unterwegs.«
»Gesandte?«
»Anderes Wort für Spione. Aber davon gibt’s in Dubrovnik immer genug.«
»Ich will ein paar Tage in der Stadt bleiben«, sagte ich. »Gibt es Schänken, in denen man Musik hören mag? Anders als hier?«
»Musik?« Velimir spitzte den Mund. »Also, hier mag überhaupt niemand Musik. Sie ist laut und lästig und meistens schlecht. Die Venezianer,
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