Das Labyrinth von Ragusa: Roman (German Edition)
erbaulichen Reden und die guten Ratschläge. Ich wünsche dir große Geschäfte, Goran.«
»Ah, du wirst mich noch sehen. Zehn Tage wird es wohl noch dauern, bis ich die Waren und die Münzen habe, und dann muß ich meine Seeleute suchen, die sich in irgendwelchen weiblichen Buchten verbergen. Ich werde abends dem Klang der Fiedel folgen und deinen Wein trinken, während du spielst und dich nicht wehren kannst.«
FÜNF
Musik und Mord
B ist du zufrieden mit der Art, wie ich dich eingeführt habe?« sagte ich, als Goran am nächsten Mittag die neuen Ausführungen gelesen hatte.
Er schob mir die Blätter hin und lächelte. »Haben wir wirklich so viel Unsinn geredet, Velimir, du und ich?«
»Wenn mich die Erinnerung nicht trügt, haben wir. So oder so ähnlich.«
»Ah, die Erinnerung! Wenn man jung ist, hält man sie für zutreffend; wenn man älter wird, stellt man irgendwann fest, daß sie sich selbst dauernd ändert und ergänzt. Sie trügt immer, sage ich dir. Aber meistens bei wichtigen Dingen; deshalb kann es durchaus sein, daß dieser unwichtige Unsinn stimmt.«
»Unsinn oder nicht – bist du zufrieden? Oder jedenfalls weniger unzufrieden als mit der alten Fassung?«
»Du hättest noch etwas über die Schönheit meiner Seele schreiben können oder die Balken in Velimirs Augen. Abgesehen davon mag es angehen.«
Er stand auf, ging mit unseren Bechern zum Herd und füllte sie aus dem großen Topf wieder auf: Kräutersud mit Honig und ein wenig Wein. Ich starrte aus dem Fenster auf die Meerenge und überlegte, welche Gesänge die Fische unter den Wellen gerade anstimmen mochten, im Chor oder einzeln.
Als Goran sich wieder gesetzt hatte, tippte er mit der Fingerspitze auf den Papierstapel. »Am Anfang dieses Teils«, sagte er, »hast du hingeschrieben, was ich dir gestern abend gesagt habe. Willst du das wirklich so machen?«
»Deine klugen Reden niederschreiben?«
»Ja.«
»Zuerst einmal. Vielleicht streiche ich hinterher alles so zusammen, daß ich deine klugen Reden nicht brauche. Dann muß ich aber das vorige Stück auch teilweise wegstreichen, und dazu habe ich noch keine Lust.«
Goran schlürfte aus seinem Becher. »Heiß«, knurrte er. »Jetzt stehe ich also neben all den anderen auf deinem Papier. Und wenn es doch irgendwann gedruckt wird, kann man in Venedig lesen, daß es mich gegeben hat? Ich weiß nicht, ob mir das gefällt.«
»Mach dir keine Sorgen«, sagte ich. »Sie werden dir sowieso nicht glauben.«
Es war nicht schwierig, in die Stadt zu gelangen. Am Tor standen zwei recht gelangweilt dreinblickende Posten, die mich nicht beachteten. Ich nahm an, daß es in Kriegszeiten anders sein würde.
Jenseits des Tores, am Anfang der Stradun, füllte ich meine Flasche am Brunnen des Baumeisters Onofrio; dann machte ich mich auf die mehrfache Suche; eine Herberge, eine Schänke, in der man Musik nicht gleich ablehnte, und Kenntnisse.
Das erste, was ich zu lernen hatte, war eine Art gezieltes Herumirren. Die umwallte Stadt ist ein Labyrinth der ärgsten Sorte; eines, das den Wanderer nicht durch Biegungen, Hindernisse und Unübersichtlichkeit verwirrt, sondern ein Labyrinth der geraden Linien, der verblüffenden Ähnlichkeiten, der undurchdringlichen Klarheit. Natürlich gibt es dort Gebäude, die man sofort wiedererkennt, wenn man zum zweiten Mal vor ihnen steht: Kirchen, Klöster, der Palast des Rektors. Aber alles andere? Rechtwinklige Straßen wie die Linien auf einem Spielbrett; Häuser aus beinahe fleischfarbenem Stein, die zweifellos für den Kundigen gut zu unterscheiden sind. Aber kundig ist man erst, wenn man all dies gründlich kennt, und ich kannte nichts. Es gab Häuser mit seltsamen Bildtafeln, die Wappen sein mochten; es gab Schänken unter Mauerbogen, in Erdgeschossen und auf Dachterrassen. Hier und da schien an einer der rechtwinkligen Kreuzungen ein Haus zu fehlen, und dort gab es auf den freien Flächen – kaum groß genug für das Wort »Platz« – einen Markt mit Tüchern, an anderer Stelle Stände mit Früchten, Brot, Fisch oder Wein. Ich sah kostbar gekleidete Männer, denen die anderen auswichen, wobei sie sich ein wenig verbeugten, und grell gewandete Frauen, denen niemand auszuweichen schien außer den Priestern. Mönche gab es auch – ich glaubte, Franziskaner und Dominikaner zu sehen, und hin und wieder Grüppchen von Nonnen.
Als armer Musikant hatte ich alles zu meiden, was nach teurem Gasthaus aussah, und im Lauf des Vormittags fragte ich die Wirte aller
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