Das Labyrinth
Feuer geben?«
»Natürlich. Du rauchst wieder?«
Arkadi zog sich aus dem Kreis der Bewunderer zurück und trat an die Bar. Stas war ihm gefolgt. Er zündete sich eine Zigarette an und atmete den Rauch so tief ein, daß seine Augen zu glühen schienen. »Sie haben Max in Moskau gesehen?« fragte er Arkadi.
»Er wurde mir als Journalist vorgestellt.«
»Max war ein ausgezeichneter Journalist, aber er kann sein, was er sein will, und gehen, wohin er will. Max ist der letzte Schritt der Evolution, der Mann nach dem Kalten Krieg. Die Amerikaner wollten jemanden, der sich in sowjetischen Angelegenheiten auskennt, einen Russen, der wie ein Amerikaner auftritt. Und genau das tut er. Warum war Max an Ihnen interessiert?«
»Ich weiß es nicht.« Arkadi fand hinter dem Bourbon eine Flasche Wodka versteckt.
Warum trinken die Menschen? Ein Franzose, um zu flirten. Ein Engländer, um aus sich herauszugehen. Die Russen sind da direkter, dachte Arkadi. Sie wollen sich einfach nur betrinken, und genau das war es, was auch er jetzt wollte.
Ludmilla tauchte aus dem Dunst auf, ganz Augen und eine Samtschleife, und nahm ihm das Glas weg. »Jeder gibt Stalin die Schuld«, sagte sie.
»Das scheint mir ungerecht zu sein.« Arkadi suchte zwischen den Flaschen und dem Eiskübel nach einem anderen Glas.
»Sie leiden alle an Verfolgungswahn«, sagte sie.
»Mich eingeschlossen.« Er fand keines.
Ludmilla senkte ihre Stimme zu einem verschwörerischen Krächzen. »Wußten Sie, daß Lenin unter dem Namen >Meyer< in München gelebt hat?«
»Nein.«
»Wußten Sie, daß ein Jude den Zaren erschossen hat?«
»Nein.«
»All die schlimmen Dinge, die Säuberung und die Hungersnot, wurden von Juden in der Umgebung Stalins ausgeheckt, um das russische Volk zu vernichten. Er war eine Schachfigur der Juden, ihr Sündenbock. Und er starb, als er begann, gegen die jüdischen Ärzte vorzugehen.«
Stas fragte Ludmilla: »Wußten Sie, daß der Kreml genauso viele Badezimmer hat wie der Tempel in Jerusalem? Denken Sie darüber nach.«
Ludmilla zog sich zurück.
Stas schenkte Arkadi ein Glas ein. »Ob sie das wohl Michael meldet?« Er musterte den Raum mit dem süffisanten Blick des Schwindsüchtigen, ohne jemanden auszulassen. »Eine gemischte Gesellschaft.«
Gesprächsgruppen hatten sich gebildet, die miteinander diskutierten. Arkadi suchte mit einem anderen Misanthropen, einem in intellektuelles Schwarz gekleideten Deutschen, Zuflucht auf der Treppe. Ein Mädchen saß schluchzend ein paar Stufen höher. Bei jeder anständigen russischen Party gibt es Diskussionen und ein Mädchen, das auf den Stufen sitzt und schluchzt, dachte Arkadi.
»Ich warte darauf, mit Irina zu sprechen«, sagte der Deutsche. Er war Mitte zwanzig, hatte heimlichtuerische Augen und sprach nur unsicher englisch.
»Ich auch«, sagte Arkadi.
Schweigen breitete sich aus, das Arkadi nicht störte, bis der Junge herausplatzte: »Malewitsch war in München.«
»Und Lenin«, sagte Arkadi. »Oder war es Meyer?«
»Der Maler.«
»Ach, der Maler. Der Malewitsch.« Der Maler der russischen Revolution. Arkadi kam sich etwas dumm vor.
»Es gibt eine traditionelle Verbindung zwischen der russischen und der deutschen Kunst.«
»Ja.« Niemand kann das bestreiten, dachte Arkadi.
Der Junge betrachtete seine Fingernägel, die bis zum Fleisch abgekaut waren. »Das rote Quadrat symbolisierte die Revolution, das schwarze Quadrat das Ende der Kunst.«
»Genau.« Arkadi leerte die Hälfte seines Glases mit einem Schluck.
Der Junge kicherte, als ob er sich an etwas erinnerte, das er seinem Gesprächspartner unbedingt mitteilen mußte. »Im Juni 1918 sagte Malewitsch: >Im Weltraum wird das Fußballspiel mit den Bällen der ineinander verstrickten Jahrhunderte in den Zündfunken blubbernder Lichtwellen verbrennen.<«
»Blubbernder Lichtwellen?«
»Blubbernder Lichtwellen.«
»Erstaunlich.« Arkadi fragte sich, was Malewitsch getrunken hatte.
Irina war nie so lange allein, daß Arkadi sich ihr hätte nähern können. Als er so zwischen den Gruppen umherwanderte, wurde er von Tommy festgehalten und zu einer riesigen Osteuropa-Karte an der Wand gezogen, auf der die deutschen und russischen Stellungen am Vorabend der Invasion Hitlers durch Hakenkreuze und rote Sterne markiert waren.
»Das ist phantastisch«, sagte Tommy. »Ich habe gerade erfahren, wer Ihr Vater war. Eines der großen militärischen Genies des Krieges. Könnten Sie mir den Ort zeigen, an dem sich Ihr Vater befand, als
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