Das Labyrinth
mich zu sehen. Du bist hier, um jemanden festzunehmen.«
Arkadi sagte: »Ich hätte nicht kommen können, ohne.«
»Hast du gedacht, daß ich dir helfen könnte? Wenn ich an die Zeit denke, als ich mich nach dir gesehnt habe, und du warst nicht hier, danke ich Gott, daß es Max gab. Max und Stas und Rikki - alle sind sie irgendwie rausgekommen: schwimmend, rennend oder auch mit einem Sprung aus einem Fenster. Du nicht. Du hast also kein Recht, einen von ihnen zu kritisieren oder zu verdächtigen oder auch nur einer von ihnen zu sein. Für mich bist du gestorben.«
Sie nahm eine Packung Zigaretten und verließ die Küche, während Tommy, eine Polka summend, hereintanzte, um Oliven und Kartoffelchips zu holen. Seine Beine waren betrunken. Auf dem Kopf trug er einen deutschen Helm. Im Helm war ein Loch.
Arkadi kannte das Gefühl.
Die Bayern-Franken Bank war ein Palast aus Kalksteinblöcken mit rotem Ziegeldach. Die marmorne Eingangshalle hatte holzgetäfelte Wände und war erfüllt vom diskreten Summen zahlloser Computer, die geheimnisvolle Zinssätze und Wechselkurse berechneten. Als er den Lift verlassen hatte und durch einen mit Rokokostuckwerk geschmückten Flur schritt, fühlte Arkadi sich, als habe er unbefugt die Kirche eines fremden Ritus betreten.
Schiller hatte etwas an sich, das ausstaffiert und künstlich wirkte. Er saß aufrecht hinter seinem Schreibtisch, ein Mann von etwa siebzig Jahren, mit klaren blauen Augen in einem rosigen Gesicht, silbernem Haar über einer schmalen Stirn und einem Batisttuch in der Brusttasche eines dunklen Börsenanzugs. Neben ihm stand ein Mann in Windjacke und Jeans, blond und sonnengebräunt. In seinen blauen Augen lag der gleiche Ausdruck verhohlener Verachtung wie in denen des älteren Mannes.
Schiller las aufmerksam den Brief durch, den Arkadi auf Federows Briefbogen geschrieben hatte. »So sieht also ein sowjetischer Chefinspektor aus«, sagte er. »Ich fürchte, ja.«
Arkadi reichte ihm seinen Ausweis. Er hatte vorher nicht gemerkt, wie abgestoßen die Ecken und wie zerfleddert die Seiten des roten Büchleins waren. Eine Armlänge Abstand haltend, betrachtete Schiller das Foto. Obwohl Arkadi rasiert war, hatte er das Gefühl, in seinen Kleidern geschlafen zu haben. Er widerstand der Versuchung, seine Hose glattzustreichen.
»Peter, würdest du das bitte prüfen?« fragte Schiller.
»Erlauben Sie?« sagte der andere Mann zu Arkadi. Er befleißigte sich jener Höflichkeit, die man Verdächtigen entgegenbringt.
»Bitte.«
Der jüngere Mann knipste die Schreibtischlampe an. Als er eine Seite unter das Licht legte, verschob sich seine Jacke und enthüllte ein Schulterhalfter und eine Pistole.
»Warum ist Federow nicht mit Ihnen gekommen?« fragte Schiller Arkadi.
»Er bittet um Entschuldigung. Er begleitet heute morgen eine Kirchendelegation, danach muß er sich um eine Volkstanzgruppe aus Minsk kümmern.«
Der Mann namens Peter gab ihm den Ausweis zurück.
»Hätten Sie etwas dagegen, wenn ich im Konsulat anrufe?«
»Bitte«, sagte Arkadi.
Der Mann benutzte das Telefon, während Schiller auch weiterhin seinen Besucher im Auge behielt. Arkadi blickte auf. An der Decke flatterten dicke Putten mit winzigen Flügeln über einen Gipshimmel. Wände in Dresdener Blau gaben dem Himmel eine düstere Färbung. Ölporträts von längst verstorbenen Bankiers hingen zwischen Kupferstichen, auf denen Handelsschiffe abgebildet waren. Die Honoratioren sahen aus, als seien sie erst einbalsamiert und dann gemalt worden. Auf einem Bücherbord standen nach Jahrgängen geordnete Bände über internationales Recht, und unter einer Glaskuppel ließ eine Messinguhr ihr Pendel ticken. Auf einem Schwarzweißfoto waren niedergebrannte Mauern und Schutt zu sehen, ein Dach lag wie ein Zelt über einer Ziegelbrüstung, und eine Badewanne stand als Wassertrog auf der Straße. Menschen in der grauen Uniform der Zwangsvertriebenen drängten sich um die Wanne. »Ein ungewöhnliches Foto in einer Bank«, sagte Arkadi.
Schiller sagte: »Das ist die Bank. Das ist dieses Gebäude bei Kriegsende.«
»Sehr eindrucksvoll.«
»Die meisten Länder haben sich vom Krieg erholt«, sagte Schiller trocken.
Der Jüngere hatte endlich jemanden ans Telefon bekommen. »Hallo.« Er blickte auf den Brief. »Ist Herr Federow zu sprechen? Wo kann ich ihn erreichen? Könnten Sie mir genau sagen, wann? Nein, nein, danke.« Er legte auf und nickte Arkadi zu. »Irgendeine Kirchendelegation und eine
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