Das Labyrinth
dasselbe Jackett über die Schulter gehängt, das er getragen hatte, als Arkadi ihm in der Petrowka-Straße vorgestellt worden war. Alle drei lachten über einen Witz.
»Etwas, das Max gerade gesagt hat«, erklärte Irina.
Jeder beugte sich vor und wollte hören, um was es ging.
Max zuckte bescheiden abwehrend mit den Schultern. »Ich hab nur gesagt: >Ich komme mir vor wie der verlorene Sohn.<«
Sofort war rundum ein protestierendes »Nein!« zu hören, explosives Gelächter und zustimmender Applaus. Max’ Wangen glühten von der Anstrengung des Treppensteigens und der Wärme des Empfangs. Er legte Irinas Arm in seinen.
Jemand rief: »Die Torte!«
Die Kerzen waren bereits verloschen. Die Zuckergußmauer stand im Dunkeln da.
Die Torte schmeckte wie Asche und Teer. Die Party erhielt jedoch neuen Auftrieb, als Max Albow sich mit Irina auf einem Sofa in der Mitte des Raumes niederließ. Sie regierten gemeinsam, die schöne Königin und der kosmopolitische König.
»Als ich hier war, sagten die Leute, ich sei von der CIA. Als ich nach Moskau ging, hieß es, ich sei vom KGB. Für einige Betonköpfe scheint das die einzig verständliche Antwort zu sein.«
Tommy sagte: »Vielleicht sind Sie jetzt auch ein amerikanischer Fernsehstar, aber trotzdem sind Sie immer noch der beste Chef, den die russische Abteilung je hatte.«
»Danke.« Max Albow nahm einen Whiskey als kleines Zeichen der allgemeinen Wertschätzung. »Aber die Zeiten sind vorbei. Ich habe getan, was ich konnte. Der Kalte Krieg ist passe. Es war Zeit, damit aufzuhören, für die Amerikaner die Werbetrommel zu rühren, auch wenn sie immer noch unsere Freunde sind. Zeit heimzukehren, um Rußland wirklich helfen zu können.«
»Wie sind Sie in Moskau behandelt worden?« fragte Rikki.
»Jeder wollte ein Autogramm von mir. Im Ernst, Rikki, Sie sind in Rußland ein Star.«
»In Georgien«, berichtigte Rikki ihn.
»In Georgien«, räumte Max ein, und zu Irina sagte er: »Und du bist die berühmteste Radiostimme Rußlands.« Er sprach jetzt russisch. »Aber was ihr alle wirklich wissen wollt, ist doch, ob mir der KGB Daumenschrauben angelegt hat und ob ich Geheimnisse verraten habe, die dem Sender oder euch schaden könnten. Die Antwort ist nein. Die Zeiten sind vorbei. Ich habe niemanden vom KGB gesehen. Offen gesagt, die Menschen in Moskau kümmern sich nicht weiter um uns, sie sind vollauf damit beschäftigt zu überleben, und sie brauchen Hilfe. Deswegen bin ich hier.«
»Auf einige von uns wartet das Todesurteil«, sagte Stas.
»Die alten Urteile werden zu Hunderten annulliert. Gehen Sie zum Konsulat und erkundigen Sie sich.« Albow ging wieder zum Englischen über, damit ihn jeder verstehen konnte.
»Wahrscheinlich erwartet Stas in Moskau nichts Schlimmeres als eine schlechte Mahlzeit. Oder, in seinem Fall, ein schlechtes Bier.«
Arkadi dachte, Irina würde sich von Albows Berührung abgestoßen fühlen, aber das war nicht der Fall. Wenn auch nicht alle ganz überzeugt waren von dem, was Albow gesagt hatte, so waren sie, Russen, Amerikaner wie Polen, mit Ausnahme von Rikki und Stas, doch von seinem Charme wie bezaubert. Hatte er durch seine Reise zurück ins Inferno an Ansehen verloren? Offensichtlich nicht. Kein Fleck auf der Weste. Statt dessen leuchtete er förmlich vor Berühmtheit.
»Was haben Sie denn in Moskau getan, um den hungrigen Menschen zu helfen?« fragte Arkadi.
»Genosse Chefinspektor.« Albow wandte sich ihm zu.
»Sie brauchen mich nicht Genosse zu nennen. Ich bin schon seit Jahren kein Parteimitglied mehr.«
»Doch nicht so lange wie ich«, bemerkte Albow spitz.
»Nicht so lange wie jeder von uns hier in München. Also einstiger Genosse. Ich bin froh, daß Sie danach fragen. Zwei Dinge, von unterschiedlicher Bedeutung. Erstens Geschäftsverbindungen geschaffen. Zweitens den hungrigsten, verzweifeltsten Mann in Moskau gesucht und ihm ein Darlehen verschafft, damit er herkommen konnte. Man sollte meinen, daß er dankbarer dafür wäre. Übrigens: Wie kommen Ihre Ermittlungen voran?«
»Langsam.«
»Keine Sorge, Sie werden bald schon wieder zu Haus sein.«
Es machte Arkadi nicht so viel aus, wie ein Insekt aufgespießt zu werden, als sein Bild in Irinas Augen zu sehen. Nun sehe sich einer diese Mücke an, diesen Apparatschik, diesen ungehobelten Klotz unter all den zivilisierten Menschen hier! Sie hörte Albow zu, als erinnere sie sich nicht mehr an Arkadi, den sie einmal gekannt hatte. »Max, könntest du mir
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