Das Lachen der Hyänen: Thriller (German Edition)
ja. Aber vielleicht hat sie sich auch vorgestellt, jemand ganz anderes zu sein, jemand ganz Aufregendes, verstehst du?«
Er versteht nichts. »Wer?«
Sie überlegt wieder, rubbelt am Nagelbett ihres Fingers herum und sagt: »Weiß nicht. Du vielleicht?« Sie sieht ihn verträumt an, und plötzlich kommen Worte über ihre Lippen, die sie eigentlich gar nicht sagen will: »Ich wäre gerne du.« Sofort ist es ihr peinlich. Sie presst die Lippen zusammen und schaut weg.
»Wolltest du nie du selbst sein?«, fragt er, als interessiere er sich wirklich für sie.
Sie denkt nach, beißt auf ihrer Unterlippe herum, kratzt sich wieder die Haut am Nagelbett ihres kleinen Fingers auf und sagt mehr zu sich selbst: »Nein, eigentlich nicht.«
»Dabei ist das doch die interessanteste Rolle.« Er legt seine Hand auf ihre, die mit dem entzündeten Nagelbett. Sie kratzt nicht mehr, sieht ihn nur erschrocken an, als ginge von seiner Hand ein Pochen aus, als schlüge darunter sein Herz. Was soll sie bloß sagen? Jetzt fällt ihr nichts mehr ein.
Er hingegen scheint sich mit derartigen Situationen besser auszukennen und sagt, dass er sie jetzt gerne küssen würde, wenn sie nichts dagegen hätte. Sie wird ein bisschen rot, lächelt und erwidert verlegen, beinahe tonlos: »Nein.« Als sie noch überlegt, ob die Antwort richtig war oder ob ein Ja vielleicht angebrachter gewesen wäre, spürt sie schon seine Lippen auf ihrem Mund. Dann kreist seine Zunge um ihre. Es fühlt sich gut an. Er schmeckt gut , denkt sie.
Sie küssen sich lange, und kaum entfernen sich ihre Münder voneinander, streben sie schon wieder aufeinander zu. Sie reden nicht mehr, küssen sich nur noch. Dabei schiebt er seine Hand auf ihrem Schenkel unter den Rock. Auch sie legt ihre Hand an seinen Bauch, spürt die Muskeln, denkt an Waschbrettbauch und bemerkt dabei ihre eigenen weichen Knie.
Sie fahren mit dem Taxi zu ihm nach Hause. Sie kichert ständig, und er küsst ihren Hals bis zum Dekolletéansatz und sagt: »Ein Pfarrer auf Urlaub in Afrika sieht sich plötzlich von einem Rudel Löwen umzingelt. Die Flucht ist ausgeschlossen. Er fällt auf die Knie, schließt die Augen und betet: ›Oh Herr, verschone mich und gib mir ein Zeichen deiner Gnade! Befiehl diesen Löwen, sich wie echte Christen zu verhalten!‹ Als er wieder aufblickt, sitzen die Löwen im Kreis um ihn herum, haben die Pfoten gefaltet und beten: ›Komm, Herr Jesus, sei unser Gast und segne, was du uns bescheret hast.‹«
Wieder lacht sie Tränen, die er ihr von den Wangen schleckt. Irgendwann verebbt das Kichern, und sie knöpft umständlich sein Hemd auf. Jetzt leckt sie seine Haut entlang und glaubt, nicht nur sein Eau de Toilette zu schmecken, sondern auch ihn selbst.
Sie schlafen in dieser Nacht mehrmals miteinander, zuerst noch heftig und zügellos, dann immer zärtlicher. Danach schläft sie ein, erschöpft und am ganzen Körper klebrig. Sie wacht auf, noch ehe die Sonne vor den Fenstern aufgeht, und schleicht sich davon, ohne sich von ihm zu verabschieden, aber mit dem Gefühl, sich endlich mal wieder verliebt zu haben.
ICH
Kitty! Ich gebe »Kitty« und »Deutsches Theater« in die Computersuchmaschine eines Internetcafés am Rosenthaler Platz ein. Der zweite Eintrag führt mich auf die Homepage des Theaters in der Schumannstraße in Berlin-Mitte. Kitty Gerber. Das ist sie. Ich überfliege die Zeilen unter ihrem Foto. 1985 in Stuttgart geboren. Absolvierte ihre Ausbildung an der Hochschule für Schauspielkunst Ernst Busch in Berlin. Sie wirkte bereits während des Studiums in zahlreichen Theater- und Kurzfilmprojekten mit. Zu sehen als Eva Puntila in Herr Puntila und sein Knecht Matti , als Melanija in Kinder der Sonne und als Marie in Woyzeck . Die Homepage scheint veraltet. Auf dieser Seite lebt Kitty noch. Nichts ist von ihrem Tod und dem Karriereende am DT zu lesen. Ich durchforste weiter das Internet, wobei mich der zehnte Eintrag auf die Seite einer Berliner Tageszeitung führt. In der Morgenpost erscheint eine Traueranzeige für Kitty Gerber, aufgegeben von Kollegen des Theaters. Ein paar Einträge weiter finden sich Kritiken eines Theaterstücks, in dem Kitty mitgespielt hatte. Woyzeck von Georg Büchner. Sie war die Marie. Eine grauenhafte Marie, wie aus mehreren Kritiken hervorgeht. Eine besonders vernichtende Rezension ist im Stadtmagazin tip zu lesen. Gibt es hier einen Zusammenhang mit ihrem Tod? Wenn ja, welchen? Können Worte töten? Der Artikel ist mit »Stefeld«
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