Das Lachen der Hyänen: Thriller (German Edition)
verlassen. Allein. Obwohl er umringt war von Menschen. Alle waren schwarz gekleidet und hatten weiße Gesichter. Er hatte sie nicht eingeladen. Vermutlich steckte Kittys Mutter dahinter, die alles, was mit der Beerdigung zu tun hatte, an sich gerissen hatte. Oder Kittys beste Freundin Doreen. Er hatte Doreen noch nie leiden können. Sie wirkte immer verschlagen auf ihn. Als hätte sie etwas zu verbergen. Als wäre auch sie nicht ganz unschuldig an Kittys Tod. Außerdem hatte sie sich seit Kittys Zusammenbruch verändert.
Nur ein einziges Mal war sie zu Besuch gekommen, auf sein Bitten hin. Ansonsten war sie schlagartig aus Kittys Leben verschwunden. Erst auf der Beerdigung sah er sie wieder.
»Es tut mir leid«, sagte sie. Mehr nicht.
Er reagierte nicht, stand neben dem Grab und stierte vor sich hin.
Der Friedhof war voller Schauspieler und Menschen vom Theater. Der Regisseur, der Intendant, ehemalige Kommilitonen. Er wollte mit ihnen allen nichts zu tun haben, stand abseits. Am liebsten wäre er jetzt alleine gewesen. Allein mit ihr. Wenn es sein musste, auch im Sarg. Sie lag im Sarg in der Grube auf dem Friedhof an der Yorckstraße. Viel hatten sie nicht übrig gelassen. Die Hyänen.
Sicher hatte sie mit Bedacht die Zeit kurz vor der Fütterung gewählt. Für die hungrigen Tiere war sie ein ungeahntes Festfressen gewesen. Mit dem Unterschied, dass sich dieses Mal die Fleischbrocken vor ihren Augen bewegten. Wie in der freien Natur. Als die Tierpflegerin kam, war es längst zu spät. Allein der Kopf war noch unversehrt. Ihr Gesichtsausdruck schien zufrieden, wie der Gerichtsmediziner meinte. Womöglich wollte er nur Trost spenden.
Nach der Beerdigung blieb eine Frau vor ihm stehen. Sie sah ihn lange an. »Erkennst du mich nicht mehr?«, fragte sie dann.
Er schüttelte den Kopf.
»Ich bin’s, Sonja. Kittys Mutter.« Sie lächelte verzagt. Ihr Gesicht war eine weiße Fläche. Da war nichts, was ihn an früher erinnerte, an das ostdeutsche Mädchen von vor fünfundzwanzig Jahren, mit dem er einmal bis ans Ende der Welt gehen wollte. Sogar in den Westen, wenn es denn hätte sein müssen. Obgleich bei jemandem in seiner Stellung schon der Gedanke daran verboten war. Aber noch ehe er daran denken konnte, war sie verschwunden. Ohne ihn.
»Das ist Hajo, mein Mann.« Sie zeigte auf den Typen neben sich. Er trug einen schlecht sitzenden Anzug, schwarzes Hemd, schwarze Krawatte. Hajo streckte ihm die Hand entgegen.
»Hajo arbeitet auch hier in Berlin«, sagte Sonja, wobei sie den Stolz in der Stimme nicht verbergen konnte. »Im Bundestag.«
Er schüttelte noch immer den Kopf, drehte sich weg und ging.
ICH
Irgendetwas stimmt mit der Wohnung nicht. Irgendetwas ist anders als zuvor. Der Geruch! Es riecht anders in meiner Wohnung. In meiner Abwesenheit muss jemand hier gewesen sein. Wieder fällt mir das Bild an der Wand ins Auge. Irgendetwas stimmt auch damit nicht.
Ich hole ein Messer aus der Schublade der Küchenzeile und schraube es damit ab. Es dauert lange, bis ich die acht Schrauben gelöst habe. Ich rutsche immer wieder ab, fluche. Als ich das Bild schließlich von der Wand nehme, verharre ich. Das kann doch nicht sein?! Da ist ein kleines Loch in der Wand, fingernagelgroß. Es scheint durch die Mauer bis in die andere Wohnung hinüber zu reichen. Ich halte das Bild gegen das Licht und sehe, dass die Leinwand an einer Stelle durchsichtig ist. Ich muss es nicht nachprüfen, um zu wissen, dass die Stelle sich auf der Höhe des Lochs in der Wand befindet.
»Scheiße!« Wer wohnt eigentlich da drüben? Wer schaut mir die ganze Zeit durch die Wand hindurch zu? Ich brauche nicht lange zu überlegen, dann ist mir klar, dass eigentlich nur Kleeberg weiß, dass ich hier wohne. Er hat mir die Wohnung vermittelt. Er hat mir die Wohnung zugeteilt. Es kann nur Kleeberg sein, der mich überwacht. Aber warum? Traut er mir nicht? Er traut mir ganz bestimmt nicht. Kleeberg hat mir noch nie vertraut. Schon damals nicht, während der Zeit, als ich noch ganz offiziell in seinem Team gearbeitet habe. Womöglich hört er auch mein Handy ab. Es stammt ebenfalls von ihm.
Von einer Telefonzelle am Alexanderplatz aus rufe ich Mechthild Gotthoff an und frage, ob sie mir einen Gefallen tun könne.
»Ich?« Sie scheint überrascht. »Warum wenden Sie sich nicht an Kleeberg?«
Berechtigte Frage , denke ich. »Der darf nichts davon wissen.«
»Warum sollte ich hinter seinem Rücken …?«
»Weil Sie ihn noch weniger mögen als
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