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Das Lachen und der Tod (German Edition)

Das Lachen und der Tod (German Edition)

Titel: Das Lachen und der Tod (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Pieter Webeling
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die Musiker nur noch mechanisch vom Blatt.
    Ich tat nicht viel, träumte endlos vor mich hin wie in der Zelle. Die Zeit war hier unbemerkt verstrichen und hatte lediglich etwas Staub auf der Schreibmaschine zurückgelassen. Sogar Grossos Bett stand noch so da, als würde er jeden Moment sein Clownsgesicht zur Tür hereinstecken. In meiner Erinnerung war er zu einer Märchengestalt geworden. Er hatte sich mit einer ebenso großartigen wie grotesken Geste verabschiedet – wie es sich für einen Bühnenkünstler seines Formats gehörte.
    Ich vermisste Helena. Wo sie wohl war? Beim Kommandanten? Wieder im Frauenlager? Oder hatte man sie wirklich ins Bordell gesteckt?
    Am Silvesterabend ging ich zu Schlomo. Mein alter Freund gab mir ein trockenes Stück Brot und schenkte mir kalten Tee ein. Wir konnten froh sein, dass wir bis zum neuen Jahr durchgehalten hatten. Er wollte mich aufmuntern und bestand darauf, einen Witz erzählen zu dürfen. Ich hörte mir sein unbeholfenes Deutsch geduldig an.
    »Es ist 1945. Hitler begibt sich inkognito nach Berlin, um die Stimmung im Volk zu sondieren. Er fragt einen x-beliebigen Passanten nach den Kriegschancen der Deutschen. Erst nach langem Zögern, und nicht ohne sich mehrmals umzusehen, wagt es der Mann, Hitler zu gestehen: »Ich habe vollstes Vertrauen in den Endsieg. Heil Hitler!«
    Ich begriff nicht, dass der Witz bereits zu Ende war, ich lä chelte vage. Etwas zu spät. Schlomo sah mich mitleidig an. »Holländer …, wenn du deinen Sinn für Humor verlierst, was soll dann nur aus dir werden?«
    Am Neujahrstag kam der Lagerkommandant. Ich hatte ihn bereits erwartet, instinktiv und ohne zu wissen, warum. Seine zwei Wachleute schickte er weg. Sie schlossen diskret die Tür. Ich schob meinen Stuhl zurück und stand auf. Der Kommandant absolvierte das altbekannte Ritual. Er ging zum Fenster und zog seine weißen Handschuhe aus. Ich sah ihm an, dass er sich jeder einzelnen Geste bewusst war, als imitiere er einen Schauspieler.
    »Herr Hoffmann … Merkwürdig, sich an so einem Ort wiederzubegegnen, nicht wahr?«
    »Ja, Herr Obersturmbannführer. Ich wollte Sie fragen, ob Helena … Ist sie …«
    Ohne mich anzusehen, gebot er mir zu schweigen. »Ich musste gerade an Grosso, den Clown denken. War er Ihrer Meinung nach schuldig?«
    »Nein, Herr Obersturmbannführer. Es war ein Missverständnis mit fatalen Folgen.«
    »Sie bleiben also bei Ihrer Version.«
    »Ja.«
    Er wusste also von den Verhören. Die hatte er natürlich höchstpersönlich angeordnet.
    Aus der Ferne hörte ich das sonore, anschwellende Brum men der Flugzeuge. Wie wütende Hornissen flogen sie vor bei – die Fenster vibrierten in ihren Rahmen. Der Kommandant sah nach oben und lachte.
    »Das sind unsere.«
    Unsere.
    »Die Wahrheit spielt ohnehin keine Rolle mehr, Herr Hoffmann. Wie Sie wissen, hatte ich mich auf eine wunderbare Vorstellung gefreut, aber es ist anders gekommen. Schade. Mir fiel neulich ein, dass wir nie darüber gesprochen haben, was in diesem Lager geschehen ist. Sie wissen eigentlich nur sehr wenig über mich.«
    »Wie meinen Sie das, Herr Obersturmbannführer?«
    Er drehte sich um. »Dieses Lager. Die Judenfrage. Haben Sie sich jemals gefragt, ob ich hinter den Entscheidungen des Reiches stehe?«
    Ich schüttelte den Kopf.
    »Vergessen Sie nicht, dass ich aus einer ehrenwerten Familie stamme, Herr Hoffmann, aus einer Familie mit einer reichen Tradition. Wir sind Soldaten und keine Mörder. Eigentlich wäre ich lieber Bühnenkünstler geworden wie Sie. Oder Theaterdirektor. Doch ich bin in die Fußstapfen meines Vaters getreten. Als ältester Sohn war ich ihm das schuldig. In dieser militärischen Tradition wurde ich erzogen. Und wenn ich etwas von ihm gelernt habe, dann: Befehl ist Befehl. Dann gehorcht man. Selbst wenn einem der Befehl nicht gefällt. Das verstehen Sie, nicht wahr?«
    »Befehl ist Befehl, Herr Obersturmbannführer.«
    Er kniff die Augen zusammen. »Eine schlaue Antwort, Herr Hoffmann. Ich wiederhole meine Frage. Verstehen Sie, was ich damit sagen will?«
    »Ich verstehe Ihr Dilemma, Herr Obersturmbannführer.«
    »Gut, Herr Hoffmann. Gut. Ich erwarte von Ihnen keine Absolution. Sie sind schließlich kein Priester!« Er grinste. Ich grinste zurück. Er zog ein kleines Döschen aus seiner Jackentasche, holte eine Zigarre hervor und zündete sie an. Die Spitze glomm auf.
    »Ihnen ist hoffentlich klar, dass ich Ihnen das Leben gerettet habe«, sagte er und zog an seiner Zigarre. »Und

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