Das Lachen und der Tod (German Edition)
schmutzigen Baumwolllappen ab.
»Sonderbehandlung«, sagte ich. »Diese Frau kommt allein in den Ofen.«
»Das geht nicht. Muss schnell machen!«
»Befehl vom Hauptscharführer«, log ich. »Du kannst sie zu den anderen werfen, doch dann melde ich das. Wie lautet deine Nummer?«
Er warf mir einen finsteren Blick zu und schüttelte den Kopf. Er griff nach einer Heugabel und ließ die letzten Aschereste durch den Rost rieseln. Übrig gebliebene Hüftknochen und ein paar Rippen fegte er nach vorn und ließ sie auf den Boden fallen. Aus einem Zinkeimer sprengte er Wasser mit Seifenlauge auf die Bahre. Es zischte und dampfte. Er steckte seine Zigarette in den Mund, nahm die Leiche von mir entgegen und legte Eva Mandelbaum fast zärtlich auf die schwarz versengte Bahre. Ihren Schal und ihre Bluse gab er mir. Er stellte sich hinter die Bahre und schob ihren zerbrechlichen Körper unter Einsatz seines Körpergewichts in den Verbrennungsofen.
Ihre Haare fingen zuerst Feuer. Auf ihrer Haut bildeten sich Blasen, die nach wenigen Sekunden zerplatzten. Ihre Hände und Füße machten aufgrund der sich zusammenziehenden Adern und Muskeln noch ein paar letzte, spastische Bewegungen. Jetzt brannte sie tatsächlich lichterloh.
»Du da! Komm mal her!«
Ich sah zur Seite. Ein schwitzender SS -Mann mit einem auf geknöpften schwarzen Hemd stürmte drohend auf mich zu.
»Was machst du da?«
»Ich bin neu hier«, stammelte ich. »Ich sollte helfen.«
»Hast du die Erlaubnis, hier zu sein?«
»Ich … ich wurde nach oben geschickt.«
»Du lügst!«
Der Deutsche holte weit aus und traf meine Nase. Ich taumelte und schmeckte Blut.
»Los, nach unten mit dir, du verfluchter Jude!«
Er trat noch nach. Ich ging hastig zurück zum Lift und stieß beinahe mit einer neuen, voll beladenen Lore zusammen.
22
Am frühen Abend sollte ein Transport aus Holland eintreffen. Das erfuhr ich von Emil, der in meiner Abwesenheit Leichen in den Lift geschleift hatte. Auch im Keller stapelten sich jetzt die Toten, während bestimmt noch mehrere Hundert Leichen aus dem Bunker zu räumen waren.
Im Auskleideraum wurden Kleidung und Gepäck der Toten von eifrigen Häftlingen sortiert. Sämtliche Taschen und Innentaschen von Jacken, Westen, Röcken und Hosen wurden genauestens nach Geld, Gold und Schmuck durchsucht. Sogar die Nähte wurden abgetastet. Auch Max’ Diamant wäre so entdeckt worden. Sämtliche Juwelen, Silber- und Goldringe, Armbänder, Ohrringe, Ketten, Uhren und Geld scheine wurden in eine besondere Kiste gelegt. Genau wie die Kleider und Schuhe, Spazierstöcke, Brillen, Bücher und Nahrungsmittel – Brot, Konserven, Flaschen, Einmachgläser, ja sogar ein halber Schokoladenkuchen.
Nach zwei Stunden war der Bunker wieder vollkommen leer. Zwei Gefangene spritzten den Betonboden, die Wände und Säulen mit Feuerwehrschläuchen ab. Jetzt verstand ich, warum beim letzten Transport Wasserpfützen zu sehen gewesen waren. Die hatte man wahrscheinlich absichtlich übrig gelassen. Andere Häftlinge begannen damit, die ärgsten Flecken an den Wänden mit weißer Farbe zu überstreichen. Die Ventilatoren brummten immer noch, obwohl der schlimmste Gestank bereits vertrieben war. Gas roch ich sowieso nicht mehr.
Musste ich mithelfen? Oder besaß ich als Komiker einen anderen Status? Was geschah eigentlich, wenn ich mich weigerte? Wenn ich niemanden zum Lachen bringen wollte oder konnte? Würde der Lagerkommandant dann diese sinnlose Wette gewinnen? Musste ich am Ende doch noch vor der SS auftreten?
Weiter hinten sah ich, wie sich Emil streckte – nachdem er die Toten weggeschleift hatte, legte er eine Pause ein. Er war vollkommen abgestumpft. So durfte ich nicht werden.
Ein Häftling kam auf mich zu. Mit breitem Lächeln. »Sind Sie der Holländer?«
Ich nickte.
»Ich bin ein südlicher Nachbar. Stijn, mein Name. Ich hab Sie noch nie gesehen. Sie sind sicherlich neu hier?«
»Neu, ja.«
»Man verlangt von uns, dass wir die nächste Fuhre wieder an der Nase herumführen«, sagte er und lächelte weiter. Ich verstand nicht, warum.
»Sind Sie bereit?«
»Nein.«
»Wer ist das schon. Aber wir tun es trotzdem, was?«
Ich schwieg.
Der Transport aus Holland traf kurz nach sechs Uhr abends ein. Ich konnte bei dem Belgier keinerlei Skrupel entdecken. Vielleicht hatte er vorher in einem brutalen Baukommando geschuftet und war nun erleichtert, hier zu sein: in der Wärme, ohne Hunger, Durst und Krankheiten. Ich beschloss, nicht mitzumachen, ich
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