Das Lachen und der Tod (German Edition)
hielt mich abseits. Meinen Entschluss, auf keinen Fall vor der SS aufzutreten, verdrängte ich. Einer der SS -Männer war angetrunken. Er bemühte sich, seine Sprache und seine Bewegungen zu kontrollieren, verriet sich aber genau dadurch. Bei diesem Transport sah ich zuerst die Frauen und die Kinder. Erst anschließend kamen die Männer. Es war merkwürdig, wieder so viel Niederländisch zu hören.
Und dann begann alles wieder von vorn, so wie schon Hunderte Male zuvor und höchstwahrscheinlich Hunderte Male danach: Die lauten Anweisungen, sich zu beeilen, um schnell die draußen zurückgebliebenen Familienangehörigen wiederzusehen. Erschöpfte, zusammengeschlagene Menschen, die sich langsam und verschämt auszogen, die Schnürsenkel ihrer Schuhe zusammenbanden und sich noch einmal umsahen, um die Nummer ihres Kleiderhakens nicht zu vergessen. Sollte ich aufstehen und ihnen die Wahrheit sagen? Sie werden euch ermorden. Ich traute mich nicht. Ein solches Eingreifen würde am Schick sal dieser Menschen absolut nichts ändern, sondern ihren Tod nur noch viel schrecklicher und grausamer machen. Und mir schnitt man sicherlich die Kehle durch. Außerdem: Wer würde so einer meschuggen Nachricht schon Glauben schenken?
Die ersten Menschen betraten den Bunker. Auf einmal trat eine nackte Frau um die fünfzig auf mich zu. »Meneer Hoffmann … Sie sind es doch, oder? Sie sind es tatsächlich! Sie haben abgenommen, aber ich habe Sie sofort erkannt. Bitte verzeihen Sie, dass ich nackt vor Ihnen stehe. Ich kann nichts dafür, und das wissen Sie. Ich freue mich so, Sie zu sehen! Früher habe ich keine einzige Ihrer Vorstellungen versäumt.«
Sie klang zerbrechlich, erschöpft.
Ich erstarrte.
»Dann … müsste ich Sie eigentlich wiedererkennen, Mevrouw …«
»Van Praag. Gila van Praag. Entschuldigen Sie bitte, wie unhöflich von mir, mich nicht vorzustellen. Ach, Meneer Hoffmann, wie habe ich Ihre Auftritte immer genossen! Dass ich Ihnen ausgerechnet hier begegnen muss … Sie wurden also auch geschnappt? Wir waren zwei Tage unterwegs, ohne Wasser, ohne Nahrung. Diese Mistkerle! War das bei Ihnen genauso? Oder sind Sie mit einem anderen Transportmittel gekommen?«
»Nein, nein« sagte ich lächelnd. »Ich kam ebenfalls mit dem Zug. Genau wie Sie.«
»Man hört die merkwürdigsten Geschichten. Wir haben an einem Bahnhof gehalten, und von draußen rief jemand, dass wir alle ermordet würden. Na ja. Aber jetzt, wo ich Sie hier sehe … Puh, das beruhigt mich sehr. Sind Sie schon lange hier?«
»Äh, seit etwa drei Monaten.«
»Wir sind doch hier in Polen?«
»In Polen, ja.«
»Sie waren nicht in Westerbork, oder? Sonst hätte ich Sie bestimmt im Lagerkabarett gesehen. Die Vorstellungen waren wirklich fantastisch. Ich konnte alles verstehen, obwohl mein Deutsch nicht sehr gut ist. Ich hätte Sie eigentlich dort erwartet.«
»Ich war nicht eingeladen.«
Sie grinste.
»Meneer Hoffmann, Sie hier?«
Noch jemand. Langsam wurde mir heiß. Ein schlanker Mann mit einer schwarzen Brille und penibel gekämmtem Haar stand splitternackt vor mir. Er ließ mich nicht aus den Augen, als wolle er sich davon überzeugen, dass hier wirklich ein Prominenter stand. »Ich bewundere Sie sehr«, sagte er. »Es ist die reinste Wohltat, Sie hier zu treffen. Obwohl ich Ihnen lieber woanders begegnet wäre. Mischa Klein, angenehm.«
Ich gab ihm die Hand.
»Es muss komisch für Sie sein, in dieser Umgebung von so vielen Verehrern umringt zu sein.«
»Wir haben ihn noch nicht vergessen«, sagte Gila van Praag gerührt.
»Sie erkenne ich schon, Meneer Klein«, sagte ich. »Sie saßen doch bei meiner letzten Aufführung auch nackt im Saal?«
Gila van Praag lachte wiehernd. Sie sah Mischa Klein hingerissen an. »Alles wie gehabt, was? Meneer Hoffmann ist noch ganz der Alte.«
Mehrere Leute scharten sich inzwischen neugierig um mich. Mein Name machte die Runde.
»Treten Sie im Lager auf, Meneer Hoffmann?«, fragte jemand.
Ich sagte wahrheitsgemäß Ja.
»Was ist Ihr bester Witz?«
»Ich stehe hier im Schlafanzug. Witziger kann es kaum werden.«
Wieder Gelächter.
»Brauchen wir Eintrittskarten?«, wollte ein anderer wissen. »Dieses Lager ist viel größer! Können wir über Sie Karten beziehen? Natürlich nicht sofort, sondern später.«
Ich rang mir ein Lächeln ab.
Mischa Klein sah mich an. »Liebe Leute, wir bringen Meneer Hoffmann nur in Verlegenheit. Wir werden in den nächsten Tagen noch früh genug erfahren, wie wir an Karten
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