Das Lachen und der Tod (German Edition)
hörte man ein Schreien und Kreischen. Ich warf einen entsetzten Blick auf den Bunker, auf Emil, der ein Stück weiter weg saß. Er zwinkerte wieder mit dem Auge. Und noch einmal. Menschen warfen sich mit aller Macht gegen die Tür, die in ihren Angeln zitterte. Eva Mandelbaum stand auf. Mit großen Augen sah sie die SS -Leute an. Sie lief zur Tür und begann, an dem Querbalken zu zerren. Aber der saß fest, weil von innen so viel Druck ausgeübt wurde. Ein SS -Mann lud seine Pistole, zielte und schoss ihr ins Genick. Der Knall war wegen des höllischen Lärms kaum zu hören. Sie sackte in sich zusammen.
Emil setzte sich neben mich. Er sah bedrückt aus. »Jetzt streuen sie die Körner«, sagte er leise.
Ich sah ihn verwirrt an.
»Körner?«
»Ein saugfähiges Granulat, so groß wie Kieselsteine. Es ist mit Blausäure, flüssigem Cyanwasserstoff, getränkt. Mit Zyklon B.«
»Woher weißt du das so genau?«
»Das wissen alle hier. Es wird in Dosen gelagert und durch Öffnungen im Dach nach unten gestreut. Sobald es mit der warmen Haut und der Raumtemperatur in Berührung kommt, verdampft es zu Gas. Die Blausäure lähmt die Atmung. Atmet man das Gas direkt ein, ist man schnell tot. Meist dauert es allerdings länger, manchmal sogar fünfzehn Minuten. Das liegt daran, dass sie in letzter Zeit eine geringere Dosis von dem Zeug verwenden. Dann dauert der Todeskampf eben länger, aber die SS muss neuerdings offenbar mit Gas sparen.«
Er hielt mir einen Vortrag, so kam es mir zumindest vor, trocken und tonlos.
»Und die Duschen?«, fragte ich.
»Die sind gar nicht an Wasserleitungen angeschlossen.«
Ich musste mich anlehnen. Nach knapp zehn Minuten begann das Schreien und Weinen leiser zu werden. Wenige Minuten später wurde es still. Noch ein lang gezogener, verzweifelter Männerschrei. Doch der klang bereits wie aus einer anderen Welt.
21
Ventilatoren heulten auf.
Der SS -Mann, der für den Genickschuss verantwortlich war, rauchte. Er sah ein paarmal auf die Uhr. Nach dem letzten Zug warf er seine Kippe auf den Boden und trat sie mit dem Stiefelabsatz aus. Er zog die Leiche der alten Ballerina von der Tür weg und hob den Querbalken. Die anderen lösten die Schrauben.
Ich hatte Angst vor dem, was ich gehört hatte, aber noch mehr Angst vor dem, was ich nun zu sehen bekäme.
Leichen fielen uns entgegen. Menschen waren im Stehen gestorben. Überall Blut, Erbrochenes, Kot und ein Knäuel aus totem Fleisch. Wegen des Gestanks hielt ich mir einen Ärmel vor den Mund. Einige Leiber glänzten rosa. Das erinnerte mich an Geschichten meines Vaters, der während des Ersten Weltkriegs in einer Gefechtspause vergaste Kameraden vom Schlachtfeld hatte holen müssen. Auf ihn wirkte es so, als seien die Körper geschmolzen. Vor meinen Füßen lag der kleine Junge, der solche Angst vor Wasser gehabt hatte. Starr schaute er zur Seite. Sein Mund war schief, sein Arm gebrochen und so verdreht, dass er hinter seinem Nacken hing. Ich wandte mich ab und übergab mich.
»Noch mehr Judenkotze«, sagte einer der SS -Männer im Vorbeigehen.
Emil half mir auf. Ich spuckte Galle und würgte säuerliche, halb verdaute Apfelstücke heraus. Ich versuchte mich zusammenzureißen, und zwang mich hinzusehen. Es gab verschiedene Stapel mit wild durcheinander- und übereinanderliegenden Leichen. Sie hatten die Form einer Pyramide.
»Das Gas ist schwerer als Luft«, erklärte Emil. »Die Leute klettern in Panik aneinander hoch, um so viel Sauerstoff wie möglich einatmen zu können. Bei dem Todeskampf bleiben die Kinder unten. Die Kräftigsten, meist Männer, liegen oben.«
»An die Arbeit!«, rief der SS -Mann. »Los, schnell!« Häftlinge begannen damit, die ineinander verkeilten Leiber voneinander zu lösen. Einer machte mit einer Kiste die Runde und legte die Seifenstücke zurück, die bestimmt beim nächsten Transport wiederverwendet würden. Ein anderer sammelte das Spielzeug vom Boden auf. Manchmal musste er Hände brechen. Sogar die Gaskörner wurden zusammen-gefegt.
Verstört setzte ich mich auf eine Bank. Ganz in meiner Nähe lag Eva Mandelbaum auf dem Rücken, den Kopf zur Seite gedreht. Derselbe Ungar, der versucht hatte, sie dazu zu bewegen, mit den anderen zu gehen, musste sie jetzt auch noch ausziehen. Mit einer großen Schere schnitt er ihre blutbeschmierte Bluse auf, das Vorderteil und die Ärmel. Als sie nackt war, drehte er sie auf den Bauch, damit ihre kleinen Brüste nicht mehr zu sehen waren. Auf ihren Po legte er die
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