Das Lachen und der Tod (German Edition)
Momente«, sagte ein Mann, der mir gegenübersaß. »Erst ein Lacher sorgt für einen richtigen Moment.« Er hatte Segelohren und bei Weitem das freundlichste Gesicht der hier Anwesenden. Seine Hand steckte in einem Verband.
Morris räusperte sich. »Weißt du, Hoffmanns …«
»Hoffmann.«
»Wenn wir hier nicht lachen können, werden wir verrückt. Vollkommen verrückt. So einfach ist das. Das musst du verstehen, denn sonst gehst du hier drauf.« Er griff nach einer Flasche Wein und nahm einen großen Schluck.
Ich bestrich ein Stück Brot mit Margarine. Am Dachfirst waren abgeschnittene Zöpfe und mit einer Schnur zusammengebundene Haarbüschel zum Trocknen aufgehängt. An der Wand lehnte ein Regal mit Tongefäßen. Jedes Gefäß war mit einer nummerierten Silbermünze versehen. Ich nahm einen Bissen von meinem Brot.
»Was ist in den Gefäßen?«, fragte ich.
»Asche«, sagte Morris.
»Asche?«
»Das sind Urnen«, erwiderte der Mann mir gegenüber. »Polnische Familien werden benachrichtigt, dass ihr Sohn, Vater oder sonst irgendwer gestorben ist. Angeb lich an Fleckfieber. Auf den Münzen steht die Identifikationsnummer. Die Aschereste können sie für zweihundert Reichsmark erwerben.«
»Auch jüdische Familien?«, fragte ich.
»Nein. Nur die Familien deportierter Polen.«
»Ist das tatsächlich die Asche des Betreffenden?«
»Natürlich nicht«, sagte Morris mürrisch. »Sie nehmen einfach eine Schaufel vom großen Haufen. Da können gut und gern dreißig Juden dabei sein. Was spielt das schon für eine Rolle? Würdest du deinen Vater nach der Einäscherung noch wiedererkennen?« Er lachte freudlos.
»Kommt ihr nie in Versuchung, die Menschen zu warnen, bevor sie die Gaskammer betreten?«
Für einen Moment herrschte Schweigen.
»Dazu äußere ich mich nicht«, meinte Morris und rülpste leise. »Es kann immer ein Verräter dabei sein. Wer weiß, vielleicht bist du ja einer.«
Das war kein Witz, und ich erschrak.
»Ryszard«, sagte ein Mann schräg gegenüber. Er erwähnte nur laut diesen Namen, mehr nicht.
Wieder wurde es still. Lediglich das Klappern der Messer und Gabeln war zu hören.
»Ryszard?«, fragte ich.
Der Mann mit den Segelohren ergriff erneut das Wort. »Letzte Woche hat Ryszard eine Frau aus einem ungarischen Transport gewarnt. Er war noch ganz neu. Sie werden euch vergasen , hat er gesagt. Sie hat ihrerseits versucht, einige ihrer Leute zu warnen, aber niemand hat ihr geglaubt. Man hielt sie für hysterisch. SS -Leute nahmen sie beiseite. Sie lachten ein wenig, redeten beruhigend auf die anderen ein, sagten, die Deutschen seien doch keine Ungeheuer. Alle sind im Bunker umgekommen. Anschließend mussten wir uns in einer Reihe neben den Öfen aufstellen. Sie wollten wissen, wer von uns gepetzt hatte. Der Ungarin legten sie glühend heiße Schüreisen auf, um sie zu zwingen, einen Namen zu nennen. Weinend zeigte sie auf Ryszard. Die SS -Leute fesselten die beiden aneinander. Wir mussten alle zusehen. Das passiert hier mit Saboteuren , sagte der Hauptscharführer. Der Ungarin gab er einen Genickschuss, Ryszard nicht. Der wurde zusammen mit der Leiche der Frau in den Ofen geschoben.«
Wieder wurde es still. Selbst der abgebrühte Morris wirkte traurig und verbittert. Da hatte ich die Antwort auf meine Frage.
Es wurde nicht mehr viel gesprochen.
23
Schon um sechs beim Morgenappell merkte ich, dass es ein sonniger Tag werden würde. An jenem Morgen trafen keine Transporte für das Krematorium I ein, aber wahrscheinlich welche für die anderen beiden. Nach dem Appell kam der SS -Mann, der mich gerettet hatte, auf mich zu. Er sagte, er habe die dummen Redereien des Flamen mitbekommen, und er entschuldige sich außerdem für das unmögliche Benehmen des betrunkenen Rottenführers. Aber dessen Eltern seien vor wenigen Tagen bei der Bombardierung Hannovers durch die Eng länder gestorben. Ich nickte nur.
Im Hof hinter dem Gebäude musste ich Skelettreste zermahlen. Mit einem schweren Vorschlaghammer zertrümmerte ich die Knochen, die das Feuer nicht verschlungen hatte, zum Beispiel Hüftknochen, Rippen und Schädel. Ein auf Kniehöhe abgesägter Baumstamm diente mir als Amboss. In meiner Zeit im Außenkommando hatte ich gelernt, das Werkzeug für mich arbeiten zu lassen. Also ließ ich den Fausthammer durch die Luft sausen, ohne viel Kraft hineinzulegen.
Der Flame ging mir nicht mehr aus dem Kopf. Etwas in mir hatte sich verschoben: Ich war auf die Seite der Lebensvernichter
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