Das Lachen und der Tod (German Edition)
untergebracht: mit Frau und Kindern, seinen Eltern, zwei Schwestern und einem Bruder. Sie wurden alle vergast. Nur Jakob durfte am Leben blieben, weil er so schön musizieren kann.«
Jakob sprach wieder, ruhig und nachdenklich.
»Er ist neugierig auf Ihre Witze«, sagte der Ungar. »Sie haben die SS -Kantine ganz schön auf den Kopf gestellt.«
»Es waren schlechte Witze für schlechte Menschen. Ohne jeden kulturellen Wert. Wie hat er seinen jüngsten Auftritt empfunden?«
Nachdem für ihn gedolmetscht worden war, zeigte der Zigeuner ein resigniertes Lächeln und zuckte die Achseln.
»Jakob lebt ausschließlich für seine Geige«, sagte der Ungar ernst. »Die Auftritte vor dem Kommandanten sind schmerzlich für ihn, das können Sie mir glauben. Aber er flüchtet sich in die Musik. So müssen Sie das sehen.«
Der Geiger sagte noch etwas, und der Ungar nickte. »›Ich muss weiterleben‹, sagt er. ›Meine Zeit ist noch nicht gekommen. Noch nicht.‹«
Am späteren Abend kam Schlomo vorbei. Ich lag schon im Bett, aber für meinen polnischen Freund zündete ich gern eine Kerze an. Er starrte schwermütig vor sich hin und hatte nicht mal einen Blick für Grosso übrig, der schon längst schlief.
»Nicht gut, Holländer. Nicht gut.«
Als Extrarepressalie hatte man nach dem Fluchtversuch überall im Lager Hinrichtungen vorgenommen. Ich hatte in der Tat Schüsse gehört. Schlomo hatte das Pech, dass das SS -Peloton auch an seiner Baracke vorbeigekommen war. Er musste zehn Personen für weitere Erschießungen benennen. Wenn er glaubwürdig bleiben und seinen Posten behalten wollte, durfte er keine Sekunde zögern.
»Ich musste es tun, Holländer, ich musste es tun! Ich betrete also die Baracke … Ich werde das nie vergessen. Niemals. Ich suche den Ersten aus. Er schreit. Fleht mich an. Weint. Ich wähle den Zweiten aus. Den Dritten. Einige verstecken sich. Sie weichen vor mir zurück. Den Vierten. Den Fünften. Den Sechsten. Einer lacht und sagt Nein. Ich sehe ihn bedauernd an. Den Siebten …« Schlomo schlug die Hände vors Gesicht.
Ich schenkte ihm Tee ein, er war noch warm und Schlomo nahm einen Schluck.
»Ich musste mich neben das Erschießungskommando stellen. Alle haben mich angesehen. Ich durfte nicht weinen, keinerlei Gefühle zeigen. Ich musste stark sein. Sag, Holländer, inwiefern bin ich noch besser als die SS ?«
»Das weißt du ganz genau, Schlomo.«
Er weinte. »Nein, nein, eben nicht!«
»Nicht heute Abend, natürlich. Aber du bist nicht derjenige, der den Abzug drückt! Vergiss das nicht, mein Freund.«
»Ich habe ihr Schicksal besiegelt.«
»Hättest du dich geweigert, so hätte das auch nichts geän dert. Dann hätte es ein anderer getan, und deine Leute wären noch schlechter dran gewesen.«
Schlomo schüttelte den Kopf. »Das mag ja sein, Holländer. Aber warum hilft es mir dann trotzdem nicht weiter?«
Ich schwieg.
»Erzähl mir lieber einen Witz.«
»Einen Witz? Ich glaube nicht, dass du in der richtigen Stimmung dafür bist.«
Er holte tief Luft und straffte sich. »Doch. Jetzt erst recht. Morgen ist ein neuer Tag.«
Ich zögerte.
»Los, Holländer, mach schon!«
Ich räusperte mich. »Also gut: Ein Deutscher, ein Russe und ein Pole sitzen in einem Flugzeug. Gott sagt: ›Ihr seid alle auserwählt. Ihr dürft euch was wünschen.‹ Der Deutsche reibt sich die Hände. ›Ich will, dass alle Russen vom Erdboden verschwinden.‹ Gott nickt. ›Und Sie?‹ Daraufhin sagt der Russe: ›Ich will, dass alle Deutschen vom Erdboden verschwinden.‹ Gott nickt erneut. Jetzt schauen alle auf den Po len. Was ist sein größter Wunsch? Er lächelt. ›Eine Tasse Kaf fee, bitte, mit etwas Zucker und ohne Milch.‹«
Schlomo grinste, aber von dem Hofnarren in ihm war nichts mehr zu spüren. Grosso drehte sich murmelnd um und ließ einen fahren. Das brachte uns unwillkürlich zum Lachen. »Er ist Clown«, sagte ich. »Sogar im Schlaf.«
Eine Pause entstand. Selbst oben im Proberaum war alles still.
»Warum wehren wir uns nicht?«, fragte Schlomo. Ich erschrak über den Ernst in seiner Stimme.
»Wir sind viel zu sehr mit Überleben beschäftigt.«
»Ja, ja, aber trotzdem: Die Menschen später, wie werden sie über uns urteilen? Über uns, die wir uns das einfach so haben gefallen lassen? Diese Russen, sie wollten fliehen …«
»Und sind jetzt tot.«
»Aber sie haben wenigstens etwas unternommen! Zwei von ihnen sind noch am Leben.«
»Sie haben so gut wie keine Chance.«
»Wer
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