Das Lachen und der Tod (German Edition)
hinter die Kulissen zu hören war. Grosso schaute sich jetzt im Saal um, und ich sah seinen seligen Blick und die zwinkernden Äuglein lebhaft vor mir. Anschließend kam der Kommandant höchstpersönlich an die Reihe. Ich traute mich kaum hinzusehen. Der Clown schüttelte ihm so fest die Hand, dass Herr Obersturmbannführer wie eine leblose Puppe hin und her geschüttelt wurde. Sein Lachen war genauso falsch wie sonst sein Lächeln.
Grosso rappelte sich wieder auf. Er drehte sich um und starrte das Orchester an, als hätte er die Musiker gerade erst bemerkt. Marschierte schnurstracks auf sie zu. Was kam als Nächstes? Grosso stellte sich neben Albert Kapinsky, der stur und scheinbar unbeeindruckt weiterdirigierte und den Clown ignorierte. Grosso drehte sich zum Publikum um und imitierte den Dirigenten, seine Armbewegungen, sein Stirnrunzeln, die aufeinandergepressten Lippen. Zum ersten Mal hörte ich einen echten Lacher im Saal. Das Konzert hatte sich in eine Clownsnummer verwandelt, bei der die Musiker bloße Statisten waren.
Grosso lief zu den Streichern. Mit großer Geste spielte er Luftgeige. Albert Kapinsky ließ sich nicht aus dem Takt bringen und zeigte auf die Pikkoloflöte, die einen goldenen Faden in den Klangteppich webte. Zum Glück stand der Flötist in sicherer Entfernung vom Clown. Grosso bahnte sich einen Weg zwischen den Orchestermitgliedern hindurch und stolperte über einen Notenständer. Im Fallen stützte er sich auf die Schulter eines Cellisten. Der geriet ebenfalls aus dem Gleichgewicht und griff mit seinem Bogen daneben, wodurch auf einmal mitten in der Oper eine rollige Katze zu jaulen schien. Ich hörte wieder Gelächter, aber auch empörtes Gemurmel.
Der Clown war nicht mehr zu bremsen. Jetzt hatte er den Schlagzeuger im Visier. Der traute sich nicht, auf-, geschweige denn sich umzusehen, konzentrierte sich mit zusammengekniffenen Augen auf den Dirigenten und ließ einen Trommelwirbel hören. Grosso schaute ins Publikum und grinste. Ich hielt mir die Augen zu, konnte es allerdings nicht lassen, zwischen den Fingern hindurchzuspähen. Mit der flachen Hand begann Grosso mit aller Wucht auf eine der Kesselpauken einzuschlagen. Trotz seiner musikalischen Fantasie hätte selbst Verdi sich ein solch originelles Intermezzo niemals ausdenken können.
Der Schlagzeuger schubste Grosso verzweifelt weg, sodass der Clown sich mit einem lauten Schrei fallen ließ. Als er wieder aufstand, verklangen die letzten Takte.
Die Deutschen begannen vorsichtig zu applaudieren. Sie schienen nicht so recht zu wissen, für wen. Grosso ging mit großen Schritten nach vorn, verbeugte sich gekonnt und heimste schamlos sämtliche Beifallsbekundungen für sich ein. Der Dirigent sah betreten drein und warf die Arme in die Luft, zum Zeichen, dass er nicht weiterwusste. Der Vorhang fiel, und das Orchester blieb ratlos zurück. Jetzt war der Clown allein mit seinem Publikum. Der Vorhang schwang noch ein paarmal hin und her.
Da stand er. Vor dem Saal. Ohne seine Freunde, die Musiker. Und es geschah … nichts. Intuitiv spürte ich, dass der Clown verschwunden war. Dieser Mann verpasste den heiklen Moment, in dem er die Gottesanbeterin im Zaum halten musste. Das Publikum wurde ebenfalls nervös. Grosso drehte sich um, und ich sah eine unglaubliche Traurigkeit. Weinte er? Hatte er Familienangehörige oder Verwandte verloren? War er deshalb so gelähmt?
Ich musste dringend eingreifen.
Rasch betrat ich die Bühne. »Grosso! Nein, nein und nochmals nein!« Er sah auf, als träume er. Dieser Mann war mir fremd. I ch hatte ihn noch nie zuvor gesehen. Mit beiden Seiten meiner Hand verpasste ich ihm drei Ohrfeigen. Patsch, patsch, patsch. Ich schlug absichtlich ziemlich fest zu.
»Du, Grosso!«
»Ja, Grosso«, stammelte er.
»Was ist los? Hast du Angst?«
Er blinzelte, ließ seine Unterlippe hängen und blickte zu Boden. Versuchte, eine Pose einzunehmen, doch der Funke sprang nicht über. Es ist ein großer Unterschied, ob man den Clown nur spielt oder ihn verkörpert. Gott sei Dank sah ihn das Publikum nur von hinten.
»Das ist kein Zirkuszelt. Das ist ein The-a-ter. Ist das dein Problem?«
Der Mann schaute mich an, sein Blick war verschwommen. Verstand er mich?
»Liegt es an den Leuten?« Ich zeigte auf den Saal. Er drehte sich halb um und starrte verdattert ins SS -Publikum. Keine Reaktion.
»Grosso, was hast du nur? Glaubst du, diese Leute wollen dir was antun?« Ich schüttelte den Kopf über so viel Naivität.
Er
Weitere Kostenlose Bücher