Das Lachen und der Tod (German Edition)
weiß, eine klitzekleine haben sie vielleicht doch! Angenommen, wir beide überleben nicht wie so viele andere. Hätten wir etwas unternehmen müssen?«
Das hatte ich mich bereits tausend Mal gefragt, ohne je eine Antwort darauf zu finden.
31
An einem warmen, stickigen Sonntag hatte ich meine erste große Vorstellung im Theatergebäude außerhalb des Lagers, sonst in erster Linie das Reich des großen Lagerorchesters von Albert Kapinsky. Aber nach einigen Auftritten in der SS -Kantine bekam ich jetzt auch meinen Platz im Nachmittagsprogramm. Ob ich nun vor Bier trinkenden SS-Chargen oder vor der Wein trinkenden deutschen Elite auftrat, war mir im Prinzip egal, zumal dieser sogenannten Bildungselite vielleicht sogar die schlimmsten Verbrecher angehörten.
Grosso musste ebenfalls hier auftreten. Seine Nummer war nicht kneipentauglich, das hatte der Kommandant richtig eingeschätzt. Aber wie würde sich dieser Kinderclown im Theater behaupten? Er war zum Maskottchen des Orchesters geworden, sogar Albert Kapinsky schmolz in seiner Gegenwart dahin. Grosso besaß eine außerordentliche musikalische Begabung. Sein Gespür für Rhythmus und Timing war so perfekt, dass er auf seinem Gebiet bestimmt eine Koryphäe gewesen war. Wie auch immer der Mann heißen mochte – er war vollkommen eins mit seiner Clownfigur und schaffte es nicht mehr, auf den Normalmenschen umzuschalten. Wahr scheinlich wusste er gar nicht mehr, wo der Schalter war.
Wie sollte ich mich auf der Bühne Grosso gegenüber verhalten? Vielleicht musste ich in die Rolle Oliver Hardys als Gegenpart von Stan Laurel schlüpfen? Das sind beides Dumme-August-Figuren, Gegenspieler des »Weißclowns« in Gestalt eines Vermieters, eines Armeekommandanten oder einer schönen Frau. Der Dicke wähnt sich dem Dünnen überlegen – das könnte ich mit Grosso hervorragend darstellen. Im Grunde war sowieso alles egal – Hauptsache wir ernteten einen Lacher. Einen rettenden Lacher.
Das Theater war wie die lang gestreckten Kasernen aus rotbraunen Steinen erbaut worden, stand jedoch frei und war höher als die anderen Gebäude. Ein Erker schmückte die Fassade, das Dach bestand aus grün oxidiertem Kupfer und erinnerte an eine Zwiebelkuppel. Ich vermu tete, dass dieses Theater früher von der Bevölkerung der umliegenden Dörfer besucht worden war.
In dem nüchternen Saal standen mehrere Reihen von Holzsitzen auf dem bei jeder Bewegung knarrenden Dielenboden. Der Vorhang war rot, mottenzerfressen und verschlissen. Oben gab es eine Loge. Zu meiner Überraschung hatten die Deutschen dort einen Suchscheinwerfer von einem der Wachtürme platziert und auf die Bühne gerichtet. Es handelte sich um ein kleines Modell, und vor dem Scheinwerfer befand sich eine Metallblende. Um das grelle Licht zu dämpfen, war ein weißes Laken davorgespannt worden.
Mit Erlaubnis des Kommandanten waren Grosso und ich schon früh eingetroffen – um halb eins, lange vor den Orchestermitgliedern. Unsere Begleiter, zwei Adjutanten, standen vor dem Eingang in der prallen Sonne, rauchten und lachten. Wir konnten uns in aller Ruhe vorbereiten. Grosso betrat neugierig den Saal und starrte hinauf zu der hohen Balkendecke. Das war wirklich etwas anderes als ein Zirkuszelt!
Wir teilten uns eine Garderobe direkt neben dem großen Raum, der für die Musiker reserviert war. Auf einem Holztisch stand ein Frisierspiegel, und es gab sogar ein paar angebrochene Tiegel mit Schminke und Lippenstift. Ich musste zudem nicht länger in meiner gestreiften Jacke auftreten. Ein dunkelgrauer Anzug wartete schon auf mich, dessen Eigentümer zweifellos ermordet worden war. Für Grosso lag ein Clownskostüm mit einem Riesenkragen und riesigen Taschen bereit. Die Hose war schwarz, das Jackett weiß mit aufgenähten Rauten in Knallgelb, Rot und Blau. Er stieß einen Freudenschrei aus und schlüpfte sofort in sein ordentlich gebügeltes Kostüm. Der Clown sehnte die Aufführung herbei. Jetzt fehlte nur noch ich.
Ich sah in den Spiegel und erschrak. Wenn mich das Lachen so alt gemacht hatte, musste ich mir schleunigst einen anderen Beruf ausdenken. Mit dem Schminken konnten wir uns Zeit lassen. Erst würde das Orchester auftreten, anschließend Grosso und ich. Über meine neuen Kleider freute ich mich: Endlich war ich die verdammten Streifen los! Das war in der SS -Kantine bei jeder Vorführung mein Malus gewesen: Erst musste ich den inhaftierten Juden vergessen machen, bevor man mich als Komiker wahrnahm.
Ich betrat mit
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