Das Lachen und der Tod (German Edition)
Grosso den Saal. Auf der Bühne setzten sich die ersten Musiker auf Stühle, die in einem Halbkreis um den Dirigenten gruppiert waren. Sie trugen ebenfalls Anzüge, alle unterschiedliche und jeweils mit einer Lagernummer versehen. Die Musiker begannen, sich einzuspielen. Die Atmosphäre erinnerte mich an den Beginn eines Konzerts des Concertgebouworkest: all die suchenden und tastenden Instrumente, die schließlich zu einer überirdischen Harmonie zusammenfanden. Einige jüdische Musiker hatten zu so renommierten Orchestern wie den Wiener Philharmonikern gehört, und so besaß dieses Lager ein Orchester von Weltrang.
Der Saal füllte sich. Mir fiel auf, dass auf zwei Stühlen der ersten Reihe blaue Kissen lagen. Sie waren für den Kommandanten und seine Frau bestimmt. Beide kamen als Letzte herein. Frau Müller trug ein rotes, eng anliegendes Abendkleid. Mit ihren knallroten Lippen und ihrem hochgesteckten hell blonden Haar wollte sie vermutlich wie eine Filmdiva wirken.
Es wurde still.
Albert Kapinsky erschien. Er nahm seine Hornbrille ab und verbeugte sich tief vor den Deutschen im Saal. Es wurde nicht applaudiert. Grosso wollte klatschen, aber ich konnte seine Handgelenke gerade noch rechtzeitig festhalten. Heilige Stille. Der Dirigent drehte sich um, setzte seine Brille auf, hob seinen Kopf und den Taktstock und ließ mit ein paar stürmischen Armbewegungen die Musik erklingen. Johann Strauss. Die Ouvertüre der Fledermaus. Ich kannte diese Operette aus der Plattensammlung meines Vaters. Grosso saß unsichtbar für das Publikum seitlich von der Bühne und wippte mit den Füßen im Takt der Musik.
Allmählich bereitete ich mich vor.
Ich war froh, allein in der Garderobe zu sein. Hier konnte ich mich sammeln und konzentrieren; meinen Text konnte ich bereits auswendig. Ich warf einen Blick auf das Lager. Jenseits des Stacheldrahts und der Dächer der steinernen Kasernen sah ich die endlosen Baracken des Außenlagers. Überall liefen Menschen hin und her. In der Ferne im Krematorium III herrschte Hochbetrieb.
Ich hörte Applaus. Schwach, aber immerhin.
Jetzt Mozart. Eine kleine Nachtmusik.
Ich konnte Albert Kapinsky gut verstehen. Er wollte, dass die Schönheit siegte, und zwar unabhängig vom moralischen Niveau der Zuhörer. In seinem Fall traf sich das gut mit dem Wunsch der Deutschen. Bei mir war die Situation eine ganz andere: Gute Witze sind meist gewagte, böse Witze. Aber wenn ich zu zynisch wurde, war ich mir meines Lebens nicht mehr sicher.
Ich warf einen Blick auf die angebrochenen Schminktiegel. Ein Maskenbildner hätte nur die Nase gerümpft, doch ich war froh, meinen blassen Teint wenigstens ein bisschen auffrischen zu können. Musste sich Grosso als Clown nicht schminken? Oder reichte die knallbunte Jacke? Eine rote Nase konnte er bestimmt gebrauchen. Ich nahm den Lippenstift und ging nach vorn. Grosso saß nach wie vor am selben Fleck und lauschte der Musik. Mit großen, kreisförmigen Bewegungen malte ich ihm die Nase dunkelrot an. Mit weißer Schminke hätte ich noch stärkere Akzente setzen können, aber das musste genügen. Das Orchester spielte jetzt eine Arie aus Nabucco – Verdis bombastische Klänge durften natürlich nicht fehlen.
»Grosso spielen?«, fragte er begeistert.
»Ja, Grosso spielen.«
Er stand auf und streckte sich. Ich betrachtete fasziniert die mit Schweißperlen bedeckten, ernsten Gesichter der Musiker. Die von ihnen gespielten Stücke hatte ich in der letzten Woche mehrmals gehört, doch das waren Proben gewesen. Grosso rieb sich die Hände und sprang unvermittelt auf die Bühne.
Ich wurde blass.
Im Saal wurde leises, beängstigendes Geflüster laut. Hier und da mischte sich ein erstauntes Lachen darunter. Grosso latschte mit seinen Riesenfüßen bis an den Rand der Bühne, blieb stehen und starrte, die Hand über die Augen gelegt, in den Saal. Er winkte einem imaginären Bekannten zu. Allmählich kam Leben in das Publikum. Albert Kapinsky spürte, wie sich die Gottesanbeterin hinter ihm bewegte. Er sah sich kurz um und wurde bleich.
Vorne ging Grosso auf die Knie und begann umständlich, einigen Offizieren und ihren Ehefrauen in der ersten Reihe die Hände zu schütteln. Sie erwiderten seinen Händedruck mit einem gezwungenen Lächeln. Insgeheim war ich heilfroh über Grossos schräges Kostüm. Nur ein Clown konnte so etwas wagen. Er arbeitete sich bis zum Lagerkommandanten vor! Frau Müller warf er eine Kusshand zu. Oder nein, vielmehr einen Knallkuss, der bis
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