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Das Laecheln der Chimaere

Das Laecheln der Chimaere

Titel: Das Laecheln der Chimaere Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Tatjana Stepanowa
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zu. Ich habe selber Angst vor ihm. An Ihrer Stelle würde ich mich lieber nicht mit ihm anlegen.«

8
    Saljutow war sich durchaus bewusst, was ein Mord in einem Kasino wie dem »Roten Mohn« bedeutete. Gab es nicht mehr als genug Beispiele dafür, dass aus ähnlichem Anlass gut gehende, einträgliche Lokale in wenigen Wochen ruiniert worden waren?
    Zum Beispiel das Restaurant »Russisches Feld« auf dem Flughafengelände. Fünf Jahre lang war es eine Goldgrube gewesen, dann hatte es dort eine banale Schießerei unter Mafiosi gegeben, bei der einer der Beteiligten getötet und ein anderer am Bein verletzt worden war. Keine vier Wochen später musste das Restaurant schließen. Oder der Nachtklub »Weine nicht«. Er zählte zu den zehn schicksten und beliebtesten Klubs in Moskau, bis man in der Damentoilette ein ermordetes Mädchen fand. Der Täter wurde zwar sofort festgenommen, aber das »Weine nicht« erholte sich von diesem Schlag nicht mehr.
    Nein, kein respektabler Restaurant – oder Kasinobesucher würde sich auf die Dauer aufdringliche Verhöre, Durchsuchungen, Abnahme von Fingerabdrücken und Ausweiskontrollen gefallen lassen. Das war ebenso klar wie die Tatsache, dass die Trumpf-Sechs selbst ein As sticht. Mit der Ankunft des Untersuchungsführers Sokolnikow und seines Einsatzkommandos war im »Roten Mohn« nichts mehr so, wie es einmal gewesen war. Nicht nur, dass man die Papiere der Gäste kontrolliert und ihnen die Fingerabdrücke abgenommen hat-te, die meisten von ihnen hatte man auch noch mit Vorladungen zum Verhör beglückt!
    Nach all diesen Scherereien hatte man das Publikum schließlich um ein Uhr nachts hinauskomplimentiert, und Untersuchungsführer Sokolnikow hatte den Angestellten des Kasinos, Saljutow und dem ob solcher Willkür erschütterten Gleb Kitajew eröffnet, dem »Roten Mohn« sei auf Anordnung der Behörden vorläufig, bis zur endgültigen Aufklärung des Falls, die Lizenz entzogen.
    Saljutow sah sich gezwungen, mitten in der Nacht in Moskau anzurufen, die nötigen Leute aus dem Bett zu klingeln, zu betteln und sich zu erniedrigen, alle erreichbaren Hebel in Bewegung zu setzen und um Hilfe und Schutz vor solchen Schikanen zu bitten.
    Nach langem Hin und Her erreichte er schließlich einen Kompromiss (einen »Konsensus« nannte es der Untersuchungsführer giftig): Die Lizenz blieb vorerst unangetastet, aber die Staatsanwaltschaft durfte während der ganzen Feiertage ungehindert alle nötigen und weniger nötigen Ermittlungen im »Roten Mohn« durchführen, der in dieser Zeit für den Publikumsverkehr geschlossen blieb.
    Es war mittlerweile zwei Uhr nachts. Außer Saljutow und Kitajew befanden sich nur noch die Männer des Sicherheitsdienstes und der Chauffeur Ravil im »Roten Mohn«. Ravil hatte den Chef abholen wollen und langweilte sich im Vestibül. Das stille, leere, tote Kasino bot einen ungewohnten Anblick. Normalerweise wurde im Großen Saal von zehn Uhr abends bis zwei in der Nacht gespielt.
    Saljutow saß immer noch im Bankettsaal, an dem für die Gedächtnisfeier gedeckten, aber unberührten Tisch. Er trank Kognak und schwarzen Kaffee und kaute eine Zitrone dazu. In den vergangenen fünf Jahren hatte er selten Alkohol getrunken. Im Unterschied zu seinem ältesten Sohn, dem verstorbenen Igor, konnte er Maß halten. Er hatte immer schon jede Art von Exzessen gehasst – sie hatten für ihn mit billiger Prahlerei zu tun, mit einer kranken Leber, morgendlichem Mundgeruch und nächtlichen Albträumen.
    Aber in den letzten beiden Monaten gingen die früheren Gewohnheiten mehr und mehr verloren. Das Leben zwang ihn, sich umzustellen.
    Kitajew war nach der Abfahrt des Einsatzkommandos zerzaust, erbittert und erschöpft ebenfalls nach oben in den Bankettsaal gekommen. Er ließ sich auf einen Stuhl fallen, nahm das größte Weinglas und goss sich einen Kognak ein. In einem Zug trank er aus und stöhnte tief auf, wie ein Wal, der an Land gespült wird. Dann teilte er mit: »Dieser Major Kolossow hat die Filme mitgenommen.«
    Saljutow nickte.
    »Alle – bis auf diesen.« Kitajew legte eine Videokassette auf den Tisch. »Den hat er nicht bekommen. Ich habe ihn ausgetauscht und ihm Stattdessen einen anderen von vorgestern gegeben.«
    Saljutow nahm die Kassette in die Hand.
    »Sehen Sie sich das Band mal an, Waleri Wiktorowitsch. Es stammt aus der Kamera im Großen Saal. Nachdem ich diesen Maiski im Vestibül erwischt hatte, bin ich in die Wachstube gegangen und habe mir das komplette Band

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