Das Laecheln der Chimaere
ging zur Anrichte, auf der neben den unberührten Vorspeisen auch das Telefon stand. Er wählte eine Nummer und sagte, man solle Philipp suchen und ihn zu seinem Vater bitten.
»Wie alt ist Ihr Sohn?«, fragte Nikita.
»Fünfundzwanzig.«
»So jung noch«, stellte Nikita fest. Es klang fast bedauernd.
7
»Übrigens«, fuhr er fort, »wo sind hier, abgesehen vom Vestibül, Überwachungskameras angebracht?«
Kitajew runzelte die Stirn – derartige Informationen waren Geheimnis des Sicherheitsdienstes.
»Überwacht werden der Außeneingang, der Parkplatz, der Große Saal, das Billardzimmer, die Halle mit den Spielautomaten, das Restaurant und die Bars«, antwortete Saljutow selbst.
»Und hier oben?«, wollte Kolossow wissen.
»Hier sind keine.«
»Treppen, Küchen, Diensträume?«
»Nur die Treppen.«
»Ich verstehe. Ich möchte Sie bitten, mir die Filme aus allen Kameras zur Verfügung zu stellen, die heute Abend eingeschaltet und nicht aus irgendeinem Grund defekt waren.«
Saljutow nickte zustimmend. Gleb Kitajews Miene wurde noch düsterer. Er wollte schon etwas einwenden, aber da öffnete sich die Tür, und zwei Männer traten ein. Der eine war groß, athletisch gebaut, mit kurzem, modisch geschnittenem Blondhaar. Sein Gesicht hätte man fast schön nennen können, wäre da nicht die gebrochene Nase gewesen. Seine Kleidung passte gar nicht zum Stil des »Roten Mohn« – ein Pullover aus grober Wolle und eine Trekkingweste mit einer Vielzahl von Taschen auf der Brust, so wie Forschungsreisende und Kriegskorrespondenten sie gern tragen.
Sein Begleiter war kleiner, jünger, zarter: ein mageres Kerlchen mit schmalem, blassem Gesicht, gehüllt in einen bodenlangen, supermodischen Wintermantel aus Alpaka mit einem imposanten Biberkragen, der auf seinen schmalen Schultern wie ein Kummet aus Pelz schlackerte. Saljutow nickte kurz zu ihm hinüber: »Mein Sohn Philipp.«
Nikita wollte schon fragen: Und wer ist der andere? Sein Privatchauffeur, sein Leibwächter? Denn der blonde Hüne in der Globetrotterweste hätte gut zu einem dieser Berufe gepasst. Aber Nikita kam nicht mehr dazu, seine Neugier zu befriedigen: Gleb Kitajew schob den Mann bereits wortlos und ohne viel Zeremonien zur Tür hinaus, allerdings nicht ohne Widerstand von dessen Seite. Wer weiß, wie dieses schweigsame Duell zweier gleich starker Männer ausgegangen wäre, hätte nicht Saljutow seinem Sohn erzürnt befohlen: »Sag ihm gefälligst, er soll sich verziehen! Die Miliz ist hier, um dir wichtige Fragen zu stellen!«
Kolossow registrierte verblüfft, wie sehr sich die Stimme dieses Mannes verändern konnte. Er begriff gar nicht, was der Grund dieses plötzlichen Umschwungs war, dieses plötzlichen Ausbruchs von Wut und Erbitterung. Nur weil diese beiden jungen Männer gemeinsam hierhergekommen waren?
»Warte bitte vor der Tür auf mich«, sagte Philipp Saljutow leise.
Sein Begleiter wandte sich um und ging schweigend nach draußen. Kitajew schloss die Tür fest hinter ihm und lehnte sich mit dem Rücken dagegen.
»Setzen Sie sich, Philipp. Ich bin Major Kolossow, Leiter der Mordkommission im Polizeipräsidium. Hier ist mein Dienstausweis.« Nikita sprach langsam, als wolle er seinem Gesprächspartner Zeit geben, sich zu entspannen. »Sie sind sicher schon im Bilde über das traurige Ereignis, das hier geschehen ist. Ich möchte Ihnen im Zusammenhang damit einige Fragen stellen.«
»Mir? Übrigens, ich bin längst volljährig.« Philipp Saljutow setzte sich an den Tisch, knöpfte seinen Mantel auf und schob das störende Geschirr beiseite, wodurch er die ausgewogene Ordnung des gedeckten Tisches augenblicklich zerstörte. »Wir könnten also auch ohne Aufpasser reden, Major.«
»Aber die Anwesenden sind für Sie doch keine Fremden. Und ich glaube, sie sind hier nicht überflüssig. Wann sind Sie heute ins Kasino gekommen, Philipp?«
»Am Abend.«
»Etwas genauer?«
»So gegen sieben.«
»Und zu welchem Zweck?«
»Heute ist eine Gedenkfeier für meinen Bruder Igor.«
»Sind Sie allein gekommen?«
»Mit dem Legionär.«
»Und wer ist das?«
Nikita blickte Saljutow junior an. Unter seinem Mantel trug Philipp eine reichlich deplatzierte Hemdbluse aus hellgrauem Flanell. Sie passte weder zu seinem teuren Mantel mit dem Biberpelzkragen noch zum Stil des »Roten Mohn« noch überhaupt zum Namen Saljutow.
Vorn, etwa in Gürtelhöhe, war auf dem Flanell etwas Dunkles – vielleicht ein Fleck, vielleicht war es auch nur der
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