Das Laecheln der Chimaere
üppigen Lockenmähne in einem erstklassig geschnittenen, eng anliegenden schwarzen Kostüm gesehen. Nun stand auf der Schwelle seiner Tür eine Frau im Balzacschen Alter mit kurzen braunen Haaren, bekleidet mit einer modischen italienischen Jacke aus honigfarbenem Nerz und Lederhosen. Dieser grundlegende Imagewechsel verblüffte Kolossow so, dass er fast einen Pfiff ausgestoßen hätte. Ihm wollte absolut nicht in den Kopf, wozu sie sich ihre wunderschönen blonden Haare hatte abschneiden und färben lassen.
Shanna knöpfte mit einer eleganten Bewegung ihre Pelzjacke auf. Darunter trug sie einen sehr jugendlichen orangefarbenen Pulli.
»Darf ich Ihnen behilflich sein?« Kolossow nahm ihr galant den Nerz ab und hängte ihn in den Schrank. »Guten Tag, Shanna Markowna, ich wollte schon längst einmal mit Ihnen reden.«
»Mit mir? Tatsächlich?« Shanna lächelte gezwungen.
Nikita rückte einen Stuhl für sie heran. Dann setzte er sich wieder. Auf dieses Verhör hatte er sich den ganzen Morgen vorbereitet. Vor einer Stunde waren ihm die Berichte über die gestrige Abhöraktion ihrer Telefonverbindungen auf den Tisch gelegt worden. Leider hatten sich seine Hoffnungen nicht bestätigt: Sie hatte gestern Abend niemanden mehr angerufen, um von ihrer unerwarteten Vorladung bei der Kripo zu erzählen.
»Entschuldigung, darf auch ich Sie etwas fragen?« Sie blickte Kolossow etwas unsicher an. »Auf der Fahrt zu Ihnen hat mich Waleri Saljutow angerufen und mir gesagt, ich solle heute wie üblich ins Kasino kommen. Ich war sehr erstaunt, ich dachte, wir müssten wohl etwas länger als nur eine Woche ohne Arbeit herumsitzen. Schließlich ermitteln Sie doch noch.«
»Nein, das Kasino ist wieder geöffnet worden. Die Ermittlungen werden dadurch nicht beeinträchtigt«, antwortete Nikita. Insgeheim fluchte er: Immer dasselbe! Hätte ich mit der Abhöraktion doch etwas gewartet. Aber dieses verfluchte Stundenlimit bindet einem ja Hände und Füße!
»Seltsam, ich dachte . . .« Shanna Basmanjuk kramte in ihrem Täschchen, holte eine Zigarette und ein Feuerzeug heraus und begann zu rauchen. »Oje, ich habe gar nicht um Erlaubnis gebeten. Darf ich?«
Kolossow hob nur die Arme: Der Wunsch einer Dame ist mir Befehl. Dann zündete er sich selbst ebenfalls eine Zigarette an.
»Shanna Markowna«, sagte er, »lassen Sie uns zunächst Ihren Tätigkeitsbereich im Kasino enger eingrenzen. Ich habe gehört, dass man Sie dort › Pit-Boss ‹ nannte.«
»Ach, das hat nicht viel zu bedeuten, ich bin nur eine gewöhnliche Angestellte.« Shanna Markowna lächelte. »Unser echter Pit-Boss ist Kitajew. Der hat wirklich für alle und alles die Verantwortung. Mein Bereich sind die Spielsäle. Genauer gesagt, der Große Saal: die vier Kartentische, der Roulettetisch und das Glücksrad.«
»Gehört es zu Ihrem Aufgabenbereich, das Spiel an den Tischen, die Spieler und die Croupiers zu überwachen?«
»Ja.«
»Auch die Gewinne und Verluste?«
»Ganz recht.«
»Und die Zinker?«
»Wer?« Shanna Basmanjuk lächelte wieder. »Ach, die gibt es nur in Romanen über die Moskauer Unterwelt.«
»Wie, Falschspieler tauchen bei Ihnen nicht auf? Das glaube ich nie im Leben«, meinte Kolossow. »Ein Beispiel aus der jüngsten Vergangenheit. Der verstorbene Vitas Taurage – war er etwa kein waschechter Falschspieler?«
»Aber nein, wo denken Sie hin!«, rief Shanna temperamentvoll.
»Wie? Ist das denn kein typischer Betrügertrick – den Leuten das Hirn vernebeln, sie zum riskanten Spiel zu animieren, geschickt die Einsätze hochzutreiben und sie dann bis auf die letzte Kopeke auszunehmen? Und alle wissen Bescheid, sowohl die Croupiers wie Sie, der Pit-Boss. Alle, außer dem unglücklichen, vertrauensseligen Gast.«
»Na, so unglücklich sind solche Leute nun auch wieder nicht. Wir zwingen keinen mit Gewalt zum Spiel«, antwortete Shanna. »Und Taurage hat nichts Ungesetzliches getan. Spieler wie ihn gibt es in jedem Kasino. Bei uns genauso wie im Ausland. Ich war in Monte Carlo, in Baden-Baden . . .Ja, ich gebe zu, ihre Aufgabe ist es, den Kunden zum Spiel zu animieren, um dann im nötigen Moment das gewisse Quäntchen Risiko, Hasard hineinzubringen. Aber entschuldigen Sie – eben darum geht es ja beim Spiel. Mal hat der eine Glück, mal der andere. Taurage hat immer im Interesse des Kasinos gehandelt. Niemals, dafür verbürge ich mich, hat er unseren Gästen gegenüber unlautere Mittel angewandt.«
»Aber Ihre Croupiers . . . Ich habe
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