Das Laecheln der Chimaere
plötzlich hinter sich Saljutow flüstern: »Es reicht, machen Sie Schluss mit dieser Farce. Zwingen Sie sie nicht, sich so zu erniedrigen und vor allen lügen zu müssen . . . Bringen Sie sie nach oben in mein Büro.«
Kolossow zögerte einen Moment und sagte dann: »Bitte fahren Sie doch mit uns zu der Stelle, wo Ihr Auto gestohlen wurde, Shanna Markowna.«
Sie stiegen in den Dienst-Wolga und fuhren nach Moskau. Shanna zeigte ihnen den Parkplatz vor dem Eingang zu dem neunstöckigen Neubau, in dem sie wohnte. Gemeinsam sahen sie sich den Ort genauer an – Kolossow, Untersuchungsführer Sokolnikow, Bindjushny und ein Mann von der Spurensicherung. Letzterer machte ein Foto des Reifenprofils im Schnee. Nikita bat Shanna um den Fahrzeugschein und die Autoschlüssel. Sie kramte eine Weile in ihrer Wildlederhandtasche und händigte ihm die Schlüssel aus. Das war die nächste Überraschung.
Dann schlug Sokolnikow vor, nach oben in ihre Wohnung zu gehen, erklärte aber gleich, es handle sich nur um eine Formalität, nicht um eine Durchsuchung. Shanna sagte, bitte sehr, von mir aus. Ihre Wohnung war groß und hell, drei elegant eingerichtete Zimmer. Etwas Interessantes konnte Nikita darin nicht entdecken. Viel interessanter waren Shannas Augen. Augen, die genauso hartnäckig logen wie ihre flinke Zunge.
Sie kehrten in den »Roten Mohn« zurück und stiegen alle zusammen in die Wachstube hinunter, um sich noch einmal das Video anzusehen. Sokolnikow fragte Shanna, ob sie den Wagen im Film als ihren eigenen wieder erkenne. Sie antwortete, es könne sein, dass es sich um ihren Wagen handele, aber das Bild sei zu schlecht, um etwas Definitives zu sagen. Sokolnikow teilte ihr mit, dass aus diesem Wagen heute um fünfzehn Uhr Egle Taurage mit drei Pistolenschüssen getötet worden sei. Er bat Shanna noch einmal, genau zu überlegen, wo sie um diese Zeit gewesen sei. Sie antwortete, um diese Zeit sei sie gerade nach Hause gekommen und habe festgestellt, dass ihr Auto verschwunden war. Dann verstummte sie, schaute das Standbild auf dem Monitor an und sagte schließlich, sie werde auf weitere Fragen nur noch im Beisein eines Anwalts antworten.
Rechtsanwalt Grzymailo konnte erst gegen zehn Uhr abends aufgetrieben werden. Aber so spät am Abend eine schwache Frau zu verhören, mochte sie auch eine Lügnerin sein, das brachten weder Kolossow noch Sokolnikow übers Herz. Nach Hause zu fahren erlaubten sie Shanna allerdings auch nicht. Sie musste die Nacht auf dem Revier von Skarabejewka verbringen, auf einer Bank im Flur in der Gesellschaft ihres Anwalts. Die ganze Nacht berieten sich die beiden im Flüsterton. Um acht Uhr früh brachte man sie aufs Präsidium in die Nikitski-Gasse, wo auch Kolossow sich einfand, und das Verhör konnte fortgesetzt werden.
Im Laufe der Nacht hatte die Lage sich nicht wesentlich verändert, es waren aber einige neue Informationen und weitere Zeugen aufgetaucht. Morgens brachte man Georgi Gasarow zur Nikitski-Gasse. Die Nachricht von Egles Tod nahm ihn derart mit, dass Kolossow beschloss, das Verhör etwas aufzuschieben, um ihm Zeit zu geben, wieder zu sich zu kommen. Zusätzliche Informationen lieferte ihnen die Pförtnerin des Hauses Nr. 23, in dem Shanna Basmanjuk wohnte. Sie wusste nichts davon, dass Shanna im Laufe des Tages zurückgekommen war. Allerdings gab sie ehrlich zu, dass sie in der Zeit zwischen 14.45 Uhr und 15.30 Uhr nicht im Haus gewesen war – sie hatte ihre Enkelin aus der Musikschule abgeholt. Über den BMW konnte sie auch nichts sagen. Aber auf die Fragen nach Shanna antwortete sie bereitwillig, bezeichnete sie respektvoll als »eine selbstständige, wohlhabende, alleinstehende Dame«, erwähnte, sie sei immer sehr elegant und teuer gekleidet und eine starke Raucherin – sogar im Aufzug könne sie es nicht lassen. Und vor nicht allzu langer Zeit habe bei ihr »ein sehr ansehnlicher, sportlicher junger Mann« gewohnt, mit dem sie Shanna morgens und tagsüber oft gesehen habe, niemals aber abends oder nachts.
Diese Aussagen, so spärlich sie auch waren, lohnte es gründlich zu überdenken. Aber die Aussagen wurden erst morgens gemacht. Seine Gedanken versuchte Kolossow jedoch schon am Abend zuvor zu ordnen.
»Weißt du, mit einer so absurden Sache sind wir beide noch nicht oft konfrontiert worden, Iwan«, meinte er, als er mit Bindjushny zusammen im Auto saß und sich durch hohe Schneewehen zur Chaussee durchkämpfte.
»Redest du von den Ammenmärchen dieser angemalten
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