Das Laecheln der Fortuna - Director s Cut
den wuchtigen Burgturm, in dem er zur Welt gekommen war. Es war ein hässlicher, grauschwarzer Kasten, befand er nicht zum ersten Mal, ein dreistöckiges Ungetüm mit zu kleinen Fenstern, neben dem die umherstehenden Wirtschaftsgebäude und die Kapelle winzig wie Spielzeuge wirkten. Sein Blick wanderte hinauf zu einem der Fenster im oberen Geschoss. Es war das zweite von links. Dahinter lag der Raum, den er mit seinem kleinen Bruder Raymond bewohnt hatte, nachdem sie endlich den Klauen ihrer Amme entkommen waren. Raymond war nur ein Jahr jünger gewesen als er, und sie hatten die Kammer bereitwillig geteilt. Sie waren unzertrennlich. Aber die kostbare, gemeinsame Freiheit nach der lähmenden Fürsorge in der Kinderstube war nur von kurzer Dauer gewesen. Robin wurde trotz seines lautstarken Protestes ins Kloster gesteckt. Sein einziger Trost war, dass Raymond ihm ein Jahr später folgen sollte. Aber dazu war es nie gekommen. Raymonds Einschulung verzögerte sich, und dann kam der Schwarze Tod und holte Raymond mitsamt ihrem älteren Bruder Guillaume, ihrer Mutter und der kleinen Isabella. Trotzdem, die gute Zeit in der kleinen Kammer dort oben hatte es gegeben: lange, eisige Winternächte, in denen sie aneinandergedrängt unter einem Berg von Daunendecken gelegen hatten und sich gegenseitig mit Gespenstergeschichten das Gruseln lehrten. Dann war der Frühling gekommen, und sie hatten ein krankes Lamm in ihre Kammer geschmuggelt und versucht, es mit Kuhmilch aufzuziehen, bis eine der Mägde ihnen auf die Schliche kam. Das Lamm kam zurück auf die Weide, und sie hatten es dort draußen weiter versorgt. Sie hatten den Schäfer mit Bier und Wein bestochen, damit er es durchbrachte. Robin lächelte. Es war kein wehmütiges Lächeln. Seine Augen leuchteten spitzbübisch. Es schien alles so wirklich .
Das Eingangstor des Burgturms flog plötzlich auf, und ein großer Mann in leichter Rüstung trat heraus. Seine Hände machten sich an seinem Schwertgürtel zu schaffen. Als er aufblickte, sah er Robin über den Burghof hinweg direkt an. Er blinzelte, und dann rief er: „Was stehst du da und glotzt, Rotznase? Was hast du hier verloren? He, komm mal her, Bürschchen!“
Robin ergriff die Flucht. Wer immer die Leute waren, die jetzt in Waringham Castle wohnten – er hatte keine Eile, ihre Bekanntschaft zu machen. Er hatte nichts bei ihnen verloren, und darum wollte er auch nichts mit ihnen zu schaffen haben. Robin wandte sich nach links und lief die Mauer entlang. Er folgte einer alten Gewohnheit.
Die Stallungen lagen etwas abseits, ungefähr gleich weit vom Dorf und der Burg entfernt am äußeren Rand der Weiden, da, wo schon fast der Wald anfing. Robins Vater war ein großartiger Reiter gewesen und hatte Pferde geliebt, mit der gleichen Leidenschaft, wie Robin es tat. Schon in frühester Jugend, bevor er der Earl of Waringham wurde, hatte er eine bescheidene Zucht begonnen und die Ställe ausgebaut. Mit den Jahren hatte die Zucht sich in dieser Gegend einen Namen gemacht, und der Verkauf von Vollblutpferden war eine willkommene Einnahmequelle für die kleine Baronie geworden.
Robin eilte in Richtung der Stallungen, als seien sie ein sicherer Hafen. Und in gewisser Weise waren sie das auch. Sie waren ihm ebenso vertraut wie die Burg. Aber anders als die Burg, waren sie kein verbotenes Territorium. Das hoffte er jedenfalls.
Um dorthin zu gelangen, musste er ein Stück hügelab laufen und den Tain auf einer schmalen Holzbrücke überqueren. Dann wandte er sich nach rechts, wanderte über einen Hügel, den die Leute hier „Mönchskopf“ nannten, weil seine kugelrunde Kuppe aus kahlem Kalkstein war, auf dem nichts wachsen wollte.
Hinter dem Mönchskopf gelangte Robin schon an den ersten Zaun. Er öffnete das Gatter und trat ohne zu zögern hindurch. Er stand auf einer der kleinen, eingezäunten Weiden, auf denen im späten Frühjahr und im Sommer die Stuten mit den Fohlen grasten. Links lag das Haus des Stallmeisters, ein schlichtes, aber solides Haus mit frischen Schindeln gedeckt. Robin sah sich um. Es war seltsam still für diese Stunde. Dies war eigentlich die Zeit der Abendfütterung, und es sollte Betriebsamkeit herrschen. Aber er konnte niemanden entdecken. Ein grässlicher Verdacht beschlich ihn: Die Zucht war aufgelöst. Der neue Lord Waringham hatte nichts für Pferde übrig. Sie waren alle verkauft.
Dann hörte er ein Wiehern. Mit einem erleichterten Stoßseufzer ging er auf die lange Reihe von Ställen zu. Die
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