Das Lächeln der Frauen
zuvor
mit der Handfläche berührt hatte, sondern durch einen Buchdeckel.
Die
Zeit dehnte sich aus, zog sich zusammen, und dann war sie völlig verschwunden.
Ich
war an der Seite dieses jungen Engländers, den die Skileidenschaft seines
frankophilen Kollegen (komplizierter Beinbruch in Verbier) nach Paris
verschlägt. Er arbeitet für den Autohersteller Austin und soll nun anstelle des
auf Monate arbeitsunfähigen Marketingleiters den Mini-Cooper in Frankreich
etablieren: Das Problem: Seine Französischkenntnisse sind so rudimentär wie
seine Erfahrungen mit Franzosen, und er hofft in völliger Verkennung der
französisch-nationalen Seele darauf, daß jeder in Paris (zumindest die Leute in
der Pariser Niederlassung) die Sprache des Empires beherrscht und mit ihm
kooperiert.
Er
ist nicht nur entsetzt über den abenteuerlichen Fahrstil der Pariser
Autofahrer, die sich in Sechserreihen auf zweispurigen Straßen drängeln, sich
nicht im geringsten dafür interessieren, was hinter ihnen passiert, und die
goldene Fahrschulregel »Innenspiegel, Außenspiegel, Losfahren« gleich auf das
»Losfahren« verkürzen, sondern auch darüber, daß der Franzose an sich seine
Beulen und Kratzer grundsätzlich nicht reparieren läßt und von Werbesprüchen
wie Mini - its like falling in Iove unbeeindruckt bleibt, weil er
lieber mit Frauen Liebe macht als mit Autos.
Er
lädt hübsche Französinnen zum Essen ein und bekommt eine mittlere Krise, weil
diese sich zwar mit dem Ausruf »Ah, comme j'ai faim! « das
komplette (und teure) Menu bestellen, dann aber etwa dreimal in ihren Salade
au chèvre picken, vier Gabeln vorn Bœuf Bourguignon zu nehmen und
zwei Löffelchen von der Crème Brûlée, bevor sie das Besteck anmutig in
den ganzen kulinarischen Rest fallen lassen.
Von
Schlangestehen hat noch kein Franzose je etwas gehört, und über das Wetter
redet hier auch niemand. Warum auch? Es gibt interessantere Themen. Und kaum
Tabus. Man will wissen, warum er mit Mitte Dreißig noch keine Kinder hat
(»Wirklich gar keine? Nicht mal eins? Zéro?«), was er von der
Politik der Amerikaner in Afghanistan hält, von Kinderarbeit in Indien, ob die
Kunstobjekte aus Hanf und Styropor von Vladimir Wroscht in der Galerie La
Borg nicht très hexagonale sind (er kennt weder den Künstler noch
die Galerie, noch die Bedeutung des Wortes »hexagonal«), ob er mit seinem
Sexleben zufrieden ist und wie er dazu steht, wenn Frauen sich ihre Schamhaare
färben.
Mit
anderen Worten: Unser Held fällt von einer Ohnmacht in die nächste.
Er
ist der englische Gentleman, der eigentlich nicht gern redet. Und mit einemmal
muß er alles diskutieren. Und an allen möglichen und unmöglichen Orten. In der
Firma, im Café, im Fahrstuhl (vier Stockwerke reichen für eine lebhafte
Grundsatzdiskussion über Autobrände in der Banlieue, den Vororten von Paris),
auf der Herrentoilette (ist die Globalisierung eine gute oder schlechte Sache?)
und natürlich im Taxi, denn französische Taxifahrer haben im Unterschied zu den
Kollegen in London zu jedem Thema eine Meinung (die sie auch kundtun), und dem
Fahrgast ist es nicht gestattet, hinter einer Trennscheibe schweigend seinen
Gedanken nachzuhängen.
Er
soll etwas sagen!
Am
Ende trägt der Engländer es mit britischem Humor. Und als er sich nach einigen
Irrungen und Wirrungen Hals über Kopf in Sophie, ein reizendes und etwas
kapriziöses Mädchen verliebt, trifft britisches Understatement auf französische
Kompliziertheit und sorgt zunächst für viele Mißverständnisse und
Verwicklungen. Bis am Ende alles in einer wunderbaren Entente cordiale endet.
Wenn auch nicht in einem Mini, sondern in einem kleinen französischen
Restaurant mit dem Namen Le Temps des Cerises. Mit rot-weiß karierten Tischdecken.
In der Rue Princesse.
Meinem
Restaurant! Daran gab es keinen Zweifel.
Ich
klappte das Buch zu. Es war sechs Uhr morgens, und ich glaubte wieder daran,
daß Liebe möglich war. Ich hatte 320 Seiten gelesen und war kein bißchen müde.
Dieser Roman war wie ein äußerst belebender Ausflug in eine andere Welt - und
doch kam mir diese Welt seltsam vertraut vor.
Wenn
ein Engländer ein Restaurant, das anders als zum Beispiel La Coupole oder
die Brasserie Lipp, nicht in jedem Reiseführer zu finden ist, so genau
beschreiben konnte, mußte er schon einmal da gewesen sein.
Und
wenn die Heldin seines Romans so aussah wie man selbst - bis hin zu jenem
zarten dunkelgrünen Seidenkleid, das man in seinem Kleiderschrank
Weitere Kostenlose Bücher