Das Lächeln der Frauen
paar Bücher gefunden.
»Ein
Leben ohne Bücher könnte ich mir überhaupt nicht vorstellen«, hat Bernadette
einmal gesagt, und ich habe ein wenig beschämt genickt.
Im
Prinzip lese ich auch. Aber meistens kommt etwas dazwischen. Und wenn ich die
Wahl habe, mache ich am Ende doch lieber einen langen Spaziergang oder ich
backe eine Aprikosentarte, und der wunderbare Duft aus diesem Gemisch aus Mehl,
Butter, Vanille, Eiern, Früchten und Sahne, der dann durch die Wohnung zieht,
ist es, der meine Phantasie beflügelt und mich zum Träumen bringt.
Wahrscheinlich
liegt es an diesem mit einem Kochlöffel und zwei Rosen verzierten Metallschild,
das heute noch in der Küche des Temps des Cerises hängt.
Als
ich in der Grundschule lesen lernte und sich Buchstabe für Buchstabe zu einem
großen, sinngebenden Ganzen zusammenfügte, stand ich in meiner dunkelblauen
Schuluniform davor und entzifferte die Worte, die darauf standen:
»Strenggenommen
hat nur eine Sorte Bücher das Glück unserer Erde vermehrt: die Kochbücher.«
Der
Spruch war von einem Joseph Conrad, und ich weiß noch, daß ich lange Zeit ganz
selbstverständlich angenommen hatte, daß dieser Mann ein berühmter deutscher
Koch sein müsse. Um so erstaunter war ich, als ich später durch einen Zufall auf
seinen Roman Herz der Finsternis stieß, den ich mir aus alter
Verbundenheit sogar kaufte, aber dann doch nicht las.
Jedenfalls
klang der Titel so düster wie meine Stimmung an diesem Tag. Vielleicht wäre
jetzt der passende Zeitpunkt gewesen, dieses Buch hervorzuholen, überlegte ich
voller Bitterkeit. Aber ich lese keine Bücher, wenn ich unglücklich bin; ich
pflanze Blumen.
Das
dachte ich zumindest in diesem Moment, nicht wissend, daß ich in derselben
Nacht noch mit begehrlicher Hast die Seiten eines Romans umblättern würde, der
sich mir sozusagen in den Weg geworfen hatte. Zufall? Bis heute glaube ich
nicht daran, daß es ein Zufall war.
Ich
grüßte Philippe, einen der Kellner aus dein Procope, der mir freundlich
durch die Scheibe zuwinkte, ging achtlos vorbei an den funkelnden Auslagen des kleinen
Schmuckladens Harem und bog auf den Boulevard Saint-Germain ein. Es
hatte angefangen zu regnen, die Autos fuhren wasserspritzend an mir vorbei, und
ich zog den Schal enger um mich, während ich unbeirrt den Boulevard
entlangmarschierte.
Warum
müssen schreckliche oder deprimierende Dinge immer im November passieren? Der
November
war
für mich die denkbar schlechteste Zeit, um unglücklich zu sein. Die Auswahl der
Blumen, die man pflanzen konnte, hielt sich in Grenzen.
Ich
stieß mit meinem Fuß gegen eine leere Coladose, die scheppernd über den
Bürgersteig rollte und schließlich im Rinnstein liegenblieb.
Un caillou bien rond qui coule, l'instant d'après il est coulé ... Es
war wie in diesem unglaublich traurigen Lied von Anne Sylvestre, La Chanson
de Toute Seule, das mit den Kieselsteinen, die erst rollen und einen
Augenblick später in der Seine untergehen. Alle hatten mich verlassen. Papa war
tot, Claude war verschwunden, und ich war allein wie nie zuvor in meinem Leben.
Da klingelte mein Mobiltelefon.
»Hallo?«
sagte ich und verschluckte mich fast. Ich spürte, wie mir das Adrenalin durch
den Körper schoß bei dem Gedanken, es könnte Claude sein.
»Was
ist los, mein Schatz?« Bernadette kam wie immer direkt zur Sache.
Ein
Taxifahrer bremste mit quietschenden Rädern neben mir und hupte wie ein
Besinnungsloser, weil ein Fahrradfahrer die Vorfahrt nicht beachtet hatte. Es
klang apokalyptisch.
»Meine
Güte, was ist das?« rief Bernadette in den Hörer, bevor ich etwas sagen
konnte. »Alles in Ordnung? Wo bist du?«
»Irgendwo
auf dem Boulevard Saint-Germain«, erwiderte ich kläglich und stellte mich für
einen Moment unter die Markise eines Geschäfts, das bunte Schirme mit Entenköpfen
als Knauf in der Auslage hatte. Der Regen tropfte aus meinen nassen Haaren, und
ich ertrank in einer riesigen Woge aus Selbstmitleid.
»Irgendwo
auf dem Boulevard Saint-Germain? Was um Himmels willen machst du irgendwo auf
dem Boulevard Saint-Germain? Du hast mir doch geschrieben, dir wäre etwas dazwischengekommen!«
»Claude
ist weg«, sagte ich und schniefte in mein Telefon.
»Wie
meinst du das - weg?« Bernadettes Stimme wurde wie immer, wenn es um Claude
ging, sofort eine Spur unduldsamer. »Ist der Idiot wieder mal abgetaucht und
meldet sich nicht?«
Dummerweise
hatte ich Bernadette von Claudes Hang zum Eskapismus erzählt, und sie hatte
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