Das Lächeln der Frauen
Marché und bestaunten die glitzernden Dekorationen; auf den kleinen
Straßen und den großen Boulevards sah man die Menschen mit ihren mit Schleifen
und Bändchen versehenen Papiertüten, in denen die Weihnachtsgeschenke verpackt
worden waren; vor den Museen standen keine langen Schlangen mehr - selbst im
Louvre konnte man an jenen letzten Wochenenden vor Weihnachten mühelos zur Mona
Lisa vordringen und ihr unergründliches Lächeln bestaunen. Und über allem
erstrahlte der Eiffelturm - dieses mächtige und doch filigrane Wahrzeichen der
Stadt, Fluchtpunkt aller Liebenden, die zum erstenmal nach Paris kommen.
Ich
war zweimal mit der kleinen Marie dorthin zum Schlittschuhlaufen gegangen. Patiner
sur La Tour Eiffel verkündete das himmelblaue Plakat, das einen gemalten
weißen Eiffelturm und davor ein altmodisches Schlittschuhläuferpaar zeigte.
Marie hatte darauf bestanden, die Eisenstufen bis zur ersten Ebene zu Fuß
hinaufzugehen. Ich war seit Jahren nicht mehr auf dem Eiffelturm gewesen und
hielt bei unserem Aufstieg immer wieder inne, um durch die Eisenverstrebungen
hinunterzuschauen, die aus nächster Nähe riesenhaft wirken. Die kalte Luft und
der Aufstieg nahmen mir den Atem, aber dann waren wir oben und drehten auf dem
Eis unsere Runden, flogen mit geröteten Wangen und glänzenden Augen über der
funkelnden, glitzernden Stadt dahin, und ich hatte für Momente das Gefühl,
selbst wieder ein Kind zu sein.
Irgend
etwas ist an diesem Weihnachten, das uns immer wieder auf uns selbst
zurückwirft, auf unsere Erinnerungen und Wünsche, auf unsere kindliche Seele,
die noch immer staunend und mit großen Augen vor dieser geheimnisvollen Türe
steht, hinter der das Wunder wartet.
Raschelndes
Papier, geflüsterte Worte, brennende Kerzen, geschmückte Fenster, der Geruch
nach Zimt und Nelken, Wünsche, die auf Zettel geschrieben oder in den Himmel gesprochen
werden und sich vielleicht erfüllen - Weihnachten weckt, ob man es will oder
nicht, diesen ewigen Wunsch nach dem Wunderbaren. Und dieses Wunderbare ist
nichts, was man besitzen oder festhalten kann, es gehört einem nicht und
ist doch immer wieder da, wie etwas, das einem geschenkt wird.
Ich
lehnte meinen Kopf versonnen gegen die Fensterscheibe .des Taxis, das gerade
die Seine überquerte, und blickte auf den Fluß, der in der Sonne glitzerte. Auf
meinem Schoß lag, in Seidenpapier eingewickelt, der rote Mantel. Bernadette,
bei der ich am Morgen zum Frühstück eingeladen gewesen war, hatte ihn mir zum
Geburtstag geschenkt.
Alles
in allem hatte dieser sechzehnte Dezember sehr verheißungsvoll begonnen - er
begann eigentlich schon am Abend zuvor, als wir, nachdem die letzten Gäste
gegen halb eins das Restaurant verlassen hatten, mit einem Champagner alle auf
meinen dreiunddreißigsten Geburtstag angestoßen hatten: Jacquie, Paul, Claude,
Marie und Pierre, unser neuer Küchenjunge, mit sechzehn der Jüngste von uns
allen, Suzette, die den ganzen Abend über schon Andeutungen gemacht hatte, daß
es noch eine Überraschung für mich geben würde, und Juliette Meunier, die seit
der zweiten Dezemberwoche fast jeden Abend beim Bedienen half.
Jacquie
hatte eine köstliche Schokoladentorte mit Himbeeren zubereitet, von der wir
noch ein Stück aßen; er war es auch, der mir im Namen von allen einen großen
Strauß Blumen überreichte. Es hatte bunt eingewickelte Päckchen für mich
gegeben - ein dicker Schal mit dazu passenden Strickhandschuhen von Suzette,
ein kleines Notizbuch mit orientalischem Muster von Paul, und von Jacquie ein
Samtsäckchen mit Muscheln, in dem sich eine Zugfahrkarte befand.
Es
war ein schöner, nahezu familiärer Moment gewesen, als wir alle in dem leeren
Restaurant standen und mit Champagner mein neues Lebensjahr einläuteten. Und
als ich gegen zwei Uhr die Bettdecke über mich zog, schlief ich mit dem
Gedanken ein, daß ich am Abend ein aufregendes Rendezvous mit einem
gutaussehenden Schriftsteller haben würde, den ich eigentlich nicht kannte,
aber doch zu kennen glaubte.
Der
Taxifahrer fuhr über eine Bodenschwelle, und das Papier, in das der Mantel
eingewickelt war, raschelte.
»Du
bist verrückt«, hatte ich ausgerufen, als ich das große Päckchen auspackte, das
auf dem Frühstückstisch gelegen hatte. »Der rote Mantel! Du bist wirklich
verrückt, Bernadette, das ist doch viel zu teuer!«
»Er
soll dir Glück bringen«, hatte Bernadette geantwortet, als ich sie fest und mit
Tränen in den Augen umarmte. »Heute abend ... und
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