Das Lächeln der Frauen
und hörte, wie André gut gelaunt
im Bad sang. Lächelnd steckte ich die Münzen in das vordere Fach zurück und
wollte gerade die Papiere, die hinten aus der Brieftasche herausragten, wieder
zurückschieben, als ich das Photo bemerkte. Ich dachte erst, es sei ein Photo
von André, und zog es neugierig heraus. Und dann blieb mein Herz für einen
schrecklichen Augenblick stehen.
Ich kannte das
Bild. Es zeigte eine Frau in einem grünen Kleid, die in die Kamera lächelte. Es
zeigte mich.
Ich starrte
einige Sekunden verständnislos auf das Photo in meiner Hand, und dann stürzten
die Gedanken kaskadengleich ineinander, und Hunderte kleiner Momentaufnahmen
fügten sich zu einem großen Ganzen.
Dieses Bild
hatte ich meinem Brief an Robert Miller beigelegt. Es befand sich in Andrés
Brieftasche. André, der mich auf dem Verlagsflur abgefertigt hatte. André, der
den Antwortbrief von Robert Miller bei mir zu Hause in den Briefkasten geworfen
hatte, weil dieser angeblich meine Adresse verloren hatte. André, der lachend
und scherzend in der Coupole saß und genau wußte, daß Robert Miller dort
niemals auftauchen würde. André, der mir kein Wort von der Lesung gesagt hatte
- dem einzigen Termin, an dem Miller wirklich in Paris gewesen war - und der
nicht schnell genug den sichtlich verwirrten Autor von mir wegzerren konnte.
André, der mit einem Blumenstrauß im Temps des Cerises auftauchte, just
in dem Moment, als Miller seinen Agenten damit beauftragt hatte, abzusagen.
Miller?! Ha!
Wer weiß, wer
der Mann war, der im Auftrag von Monsieur Chabanais bei mir angerufen hatte.
Und der Brief von Robert Miller? Wie hatte mir der Autor antworten können, wenn
er meinen Brief niemals erhalten hatte?
Und plötzlich
erinnerte ich mich an etwas. Etwas, das ich bereits nach der Lesung bemerkt hatte,
ohne es wirklich einordnen zu können.
Ich ließ das
Photo fallen und stürzte zum Nachttisch. Dort lag Das Lächeln der Frauen, und
in dem Buch steckte der Brief von Miller. Mit zitternden Händen zog ich die handbeschriebenen
Seiten hervor.
»Sehr ergeben,
Ihr Robert Miller.« Ich flüsterte die Schlußworte des Briefes leise vor mich
hin, als ich jetzt hastig das Buch aufschlug und auf die Widmung starrte. »Für
Aurélie Bredin mit sehr herzlichen Grüßen von Robert Miller«. Robert Miller hatte
zweimal unterschrieben. Doch die Signatur der Widmung war eine völlig andere
als die Unterschrift des Briefes. Ich drehte den Umschlag um, auf dem noch der
kleine gelbe Postit-Zettel von André Chabanais klebte, und stöhnte auf. Es war
André, der den Miller-Brief geschrieben hatte, und ich war die ganze Zeit über
belogen worden!
Benommen
setzte ich mich aufs Bett. Ich dachte daran, wie André mich mit seinen braunen
Augen so treuherzig angeschaut hatte, gestern abend im Restaurant, wie er
gesagt hatte »Es tut mir so leid, Aurélie«, und eine kalte Wut stieg in
mir auf. Dieser Mann hatte meine Gutgläubigkeit ausgenutzt, er hatte sich einen
Spaß daraus gemacht, mich an der Nase herumzuführen, er hatte sein Spiel mit
mir getrieben, um mich ins Bett zu bekommen, und ich war darauf hereingefallen.
Ich sah aus
dem Fenster, wo die Sonne immer noch in den Hof schien, doch das schöne Bild
eines glücklichen Morgens war zerstört.
André
Chabanais hatte mich belogen, genauso wie mich Claude belogen hatte, aber ich
würde mich nicht mehr belügen lassen, nie mehr! Ich ballte meine Hände zu
Fäusten und atmete in kurzen schnellen Zügen ein und aus.
»So, mein
Herzchen, der ganze Tag gehört uns.«
André war ins
Zimmer getreten, er hatte sich ein großes dunkelgraues Badetuch umgeschlungen
und aus seinen braunen Haaren tropfte das Wasser.
Ich starrte zu
Boden.
»Aurélie?« Er
trat näher, stellte sich vor mich und legte die Hände auf meine Schultern.
»Meine Güte, du bist ja ganz blaß im Gesicht. Geht's dir nicht gut?«
Ich nahm seine
Hände von meinen Schultern und stand langsam auf.
»Nein«, sagte
ich und meine Stimme zitterte. »Mir geht es nicht gut. Mir geht es überhaupt
nicht gut.«
Er sah mich
verwirrt an. »Was hast du? Aurélie ... Liebes ... kann ich irgend etwas für
dich tun?« Er strich mir eine Haarsträhne aus dem Gesicht.
Ich fegte
seine Hand weg. »Ja«, sagte ich drohend. »Faß mich nie wieder an, hörst du, nie wieder!« Er wich erschrocken zurück.
»Aber,
Aurélie, was ist denn nur los?« rief er aus.
Ich merkte,
wie eine Welle der Wut in mir aufstieg. »Was los ist?« fragte ich
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