Das Lächeln der Frauen
»Monsieur Chabanais?«
»Ja, was ist
denn?«
Sie sah mich
mit ihrem kleinen Mimosengesicht an.
»Sie sehen
schrecklich aus, Monsieur Chabanais«, sagte sie und fügte schnell hinzu: »Bitte
verzeihen Sie, wenn ich das sage. Ach, essen Sie doch ein Sandwich ... mir
zuliebe.«
Ich seufzte
schwer. »Schon gut, schon gut«, sagte ich.
»Hühnchen,
Schinken oder Thunfisch?«
»Egal. Bringen
Sie mir irgend etwas mit.«
Eine halbe
Stunde später tauchte sie mit einem Thunfischbaguette und einem frischgepreßten Jus d'orange auf und stellte beides stumm auf meinen Schreibtisch.
»Kommen Sie
heute abend denn zur Weihnachtsfeier?« fragte sie dann.
Es war
Freitag, der Heiligabend fiel auf den nächsten Dienstag, und die Editions Opale
hatten bereits ab der nächsten Woche und dann bis Neujahr geschlossen. In den
letzten Jahren hatte es sich eingebürgert, daß der Verlag am letzten Arbeitstag
abends in die Brasserie Lipp ging, um das Jahr gebührend ausklingen zu
lassen. Das war stets eine sehr muntere Veranstaltung, bei der viel gegessen,
gelacht und geredet wurde. So viel guter Laune sah ich mich nicht gewachsen.
Ich schüttelte
den Kopf. »Tut mir leid, ich komme nicht.«
»Oh«, sagte
sie. »Ist es wegen Ihrer Mutter? Sie hat sich doch das Bein gebrochen, nicht
wahr?«
»Nein, nein«,
antwortete ich. Warum sollte ich lügen? Ich hatte in den letzten Wochen so viel
gelogen, daß mir die Lust daran vergangen war.
Maman war
schon seit fünf Tagen wieder zu Hause in Neuilly, humpelte ganz behende auf ihren
Krücken durchs Haus und plante le réveillon, den Weihnachtsschmaus.
»Mit dem
gebrochenen Bein, das geht schon wieder«, sagte ich.
»Aber ... was
ist es dann?« wollte Mademoiselle Mirabeau wissen.
Ich sah sie
an. »Ich habe einen riesengroßen Fehler gemacht«, sagte ich und legte mir die
Hand auf die Brust. »Und jetzt ... was soll ich sagen ... ich glaube, mein Herz
ist gebrochen.« Ich versuchte zu lächeln, aber es klang wohl nicht gerade wie
mein bester Witz.
»Oh«, sagte
Mademoiselle Mirabeau. Ich spürte ihr Mitleid wie eine warme Welle, die durch
das Zimmer wogte. Und dann sagte sie etwas, das mir im Kopf herumging, lange
nachdem sie die Tür leise hinter sich zugezogen hatte.
»Wenn man
merkt, daß man einen Fehler gemacht hat, sollte man ihn so rasch wie möglich
korrigieren. «
Es kam nicht oft vor, daß der
Verleger in den Büros seiner Mitarbeiter auftauchte, aber wenn er es tat,
konnte man sicher sein, daß es etwas Wichtiges war. Eine Stunde nachdem
Florence Mirabeau bei mir gewesen war, riß Jean-Paul Monsignac die Tür zu
meinem Zimmer auf und ließ sich krachend in den Stuhl fallen, der vor meinem
Schreibtisch stand.
Er sah mich
mit seinen blauen Augen durchdringend an. Dann sagte er: »Was soll das heißen,
André ... ich höre gerade, Sie kommen heute abend nicht zur Weihnachtsfeier?«
Ich rutschte
unbehaglich in meinem Sessel herum. »Äh ... nein«, sagte ich.
»Darf man
wissen, warum?« Die Weihnachtsfeier im Lipp war für Monsignac
sakrosankt, und er erwartete, alle seine Schäfchen dort zu sehen.
»Nun, ich ...
ich bin einfach nicht gut drauf, um ehrlich zu sein«, sagte ich.
»Mein lieber
André, ich bin ja nicht blöd. Ich meine, jeder, der Augen im Kopf hat, sieht
ja, daß es Ihnen nicht besonders gut gehen kann. Sie kommen nicht zur Verlagskonferenz,
sagen um elf Uhr, ohne einen Grund zu nennen, ab, am nächsten Tag erscheinen
Sie hier mit Leichenbittermiene und kommen fast gar nicht mehr raus aus Ihrer
Höhle. Was ist denn nur los? So kenne ich Sie gar nicht.« Monsignac musterte
mich nachdenklich.
Ich zuckte die
Schultern und schwieg. Was hätte ich auch sagen sollen? Wenn ich Monsignac
reinen Wein einschenken würde, hätte ich das nächste Problem.
»Sie können
mit mir über alles reden, André, das wissen Sie hoffentlich.«
Ich lächelt
verkrampft. »Das ist nett gemeint, Monsieur Monsignac, aber ich fürchte, gerade
mit Ihnen kann ich nicht darüber reden.«
Er lehnte sich
erstaunt zurück, schlug ein Bein über das andere und hielt mit beiden Händen
seinen dunkelblau bestrumpften Fußknöchel fest.
»Jetzt haben
Sie mich neugierig gemacht. Warum können Sie mit mir nicht darüber reden? So
ein Unsinn!«
Ich blickte
zum Fenster hinaus, wo sich die Spitze des Kirchturms von Saint-Germain in
einen rosafarbenen Himmel bohrte.
»Weil ich dann
wahrscheinlich meinen Job los bin«, sagte ich düster.
Monsignac
lachte schallend. »Aber mein lieber André,
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