Das Lächeln der Kriegerin
Aufmerksamkeit auf sich gezogen, weil sie sich nichts sehnlicher gewünscht hatte, als nach Hause und in die Sorglosigkeit zurückzukehren. Wäre ihre Selbstsucht nicht gewesen, hätte der Ritter die Gefahr rechtzeitig erkennen können. Sie sah sein Bild, wie er sich seinem unausweichlichen Schicksal gestellt hatte. Und sie sah die Pfeile, die seine Begleiter so gnadenlos niedergestreckt hatten. Den Jungen, den die Pferde der Maskierten im Staub zertreten hatten. Hätte sie ihn nicht doch retten können? Konnte sie ihre Schuld jemals begleichen?
Es gab nur einen Weg! Sie musste sich wie Ellian ihrem Schicksal stellen. Sie wollte seinem Befehl gehorchen, ihren Teil zur Rettung Laindors beitragen. Anders als Unwan würde sie ihre Verantwortung anerkennen.
Sie stand auf und ging zu Carroch. Während sie seinen kräftigen Nacken streichelte, flüsterte sie ihm ins Ohr, als sei er ein anderer: »Höre, Rochon! In dieser Stunde will ich deinen Auftrag ganz übernehmen. Ich werde nicht mehr nach einem Mann suchen, der nach Arminas reitet. Ich will die Botschaft selbst zur Königin bringen. Denn dieser Höllenbrut muss so bald als möglich Einhalt geboten werden!«
Jetzt erst versorgte sie ihre Wunde.
OSTSTRASSE
Die Wunde schmerzte, aber sie war nicht sehr tief und blutete nicht mehr. Der Pfeil hatte die Schulter nur gestreift. Lothiel hatte die Verletzung an dem kleinen Bach ausgewaschen und mit einem Tuch aus der Satteltasche Rochons verbunden. Nun wollte sie zur Oststraße reiten. Es war der direkteste und schnellste Weg. Rochons Karte bestätigte das. Um schneller voranzukommen, musste sie den Wald verlassen. Das war entweder in Richtung Süden oder eben im Norden auf der Straße möglich. Südlich befand sich unwegsameres Gelände und sie stieße bald auf Hindernisse, eine kleine Hügelkette und einen Fluss, die sie umgehen müsste.
Natürlich barg die Oststraße auch ein Risiko. Doch Lothiel war jetzt ziemlich sicher, wo sich das feindliche Heer befand. Wie viele Reiter es auch gewesen sein mochten, die am Morgen das Gut bei Iden überfallen hatten, sie konnten nur einen kleinen Teil des Heeres ausmachen, das Rochon beschrieben hatte. Ein Stoßtrupp vielleicht, dessen Auftrag die Sicherung der Umgebung gewesen war, während das Hauptheer vermutlich in Iden selbst lagerte. Der Ort, an der Kreuzung der Ost- und der Bhalstraße gelegen, stellte sicher einen strategisch wertvollen Punkt dar. Adar hatte ihr erzählt, er sei sogar leicht befestigt und es gäbe dort eine bewaffnete Stadtwache. Selbst die Streitmacht Naurhirs konnte durch Iden nicht einfach hindurchspazieren. Und von dort aus würden seine Truppen auf der Oststraße niemals so schnell vorankommen können wie Lothiel auf Carroch.
Trotz ihrer Sorgen und des Leids, das sie gesehen hatte, spürte Lothiel auch eine Erregung, die ihr nicht unangenehm war.
Selbst ihr Vater war nie westlich Idens gewesen. Sie ritt nun durch Landschaften, die er nie gesehen hatte. Und sie würde die Pracht der Königsstadt sehen, die weit größer als die der Grenzfeste sein sollte.
Nach wenigen Stunden sah Lothiel einen lichten Streifen. Die Straße. Still und friedlich lag sie vor ihr. Doch Lothiel vergaß nicht, umsichtig zu bleiben. Sie stieg ab und band Carroch an einen Baumstamm. Sie überlegte einen Moment, griff dann zu ihrem Bogen. Mit ihm fühlte sie sich sicherer. Dal Hatte sie da nicht Stimmen gehört? Angestrengt lauschte sie. Sie täuschte sich nicht. Ein Stück links von ihr, nicht weit von der Straße, mussten sich Menschen befinden. Es konnten nur Leute sein, die von oder nach Iden unterwegs waren und hier eine Rast hielten. Lothiel musste sie vor der drohenden Gefahr warnen. Aber die schrecklichen Bilder des Morgens ließen sie ihre Vorsicht nicht verlieren. So leise wie möglich näherte sie sich den Stimmen. Bald erkannte sie zwei Männer, die auf dem Waldboden hockten und ihr den Rücken zukehrten. Noch ein paar vorsichtige Schritte. Ein dritter Mann lag rücklings neben den anderen und schien zu schlafen. Lothiel konnte keines der Gesichter erkennen, darum wagte sie sich noch ein bisschen näher heran und versuchte, dem Gespräch zu lauschen.
Die Männer unterhielten sich in der Gemeinen Sprache. Doch sie sprachen schwerfällig und gebrochen, als sei sie ihnen sehr fremd. Beide hatten einen unterschiedlichen Akzent. Wahrscheinlich bedienten sie sich der Gemeinen Sprache, weil sie sich sonst nicht verstehen könnten. Wo kamen sie her? Ihre
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