Das Lächeln der Kriegerin
später hörte sie ihre Schmerzensschreie, als sie von den Verfolgern niedergeritten wurden. Vor ihr versuchten sich manche der Leute in den Wald oder durch einen Sprung in den Huss zu retten. Doch das brachte wenig Hoffnung. Als sie es wagte, sich in vollem Galopp umzuschauen, sah sie, dass einige Reiter in den Wald schwenkten. Andere blieben stehen, um den flüchtenden im Fluss ihre Pfeile nachzujagen. Die meisten aber, es mussten weit mehr als hundert sein, stürmten weiter hinter ihr her, ohne sich lange mit den auf der Straße Verbliebenen aufzuhalten.
Der Wald zu ihrer Linken trat zurück und Lothiel erreichte die ersten brachliegenden Felder. Vor ihr lief jetzt eine weit auseinandergezogene Gruppe und sie musste ihre ganze Konzentration darauf richten, niemanden umzureiten.
Plötzlich stahl sich ein niederschmetternder Gedanke in ihr Bewusstsein: Was nützt ihnen deine Vorsicht?
Lothiel schüttelte ihn ab. Sie erkannte die Männer und Burschen, die sich vor dem Gutshaus von Ellian gesammelt hatten. Für sie gab es keine Hoffnung. Da war auch der kleine Junge.
Ich muss ihm helfen. Aber wie?
Schon war sie an ihm vorbei. Wieder wagte sie einen Blick zurück. Der Junge stolperte, fiel … Dann nur noch Staub und donnernde Hufe. Lothiel riss den Kopf herum, schloss die Augen. Sie musste jetzt an sich denken. Sie trug die Botschaft für die Königin.
Carroch leistete Unglaubliches. Trotz der Strapazen der letzten Tage zeigte er, dass er um seiner Schnelligkeit und Ausdauer willen zum Botenpferd erwählt worden war.
Als Lothiel die ersten Bauernkaten erreichte, war der Abstand zu den meisten Verfolgern schon ein Stück angewachsen. Jetzt ließen nur die zwei ersten nicht von ihr ab, während die anderen zwischen den Hütten ausschwärmten. Was sollte sie tun? Zum Gutshaus? Dort wäre sie vielleicht sicher. Aber wie lange? War sie dort nicht nur eine Gefangene inmitten der Reihen des Feindes? Die Brücke! Das war ihre einzige Hoffnung. Sie musste die Brücke erreichen und versuchen, auf der anderen Seite des Bhal ihre Verfolger abzuschütteln.
Im Vorbeireiten konnte Lothiel sehen, dass man die Zugbrücke des Gutshauses bereits hochgezogen hatte. Eine Gruppe Bauern drängte sich vergeblich davor.
Lothiel hatte die Brücke fast erreicht. Aus dem Augenwinkel sah sie einen Lastkahn den Fluss heraufkommen. Noch immer wurde sie von zwei Reitern verfolgt. Sie überlegte, welche Richtung sie hinter der Brücke einschlagen sollte. Dort sah sie freies Feld und drei weitere Gehöfte. Könnte sie den weiter entfernten Wald erreichen, war sie vielleicht in Sicherheit.
Wieder durchzuckte sie ein Gedanke: Hielt die schmale Brücke einem Reiter in vollem Galopp stand? Sie trieb Carroch weiter an, schloss erneut die Augen. Sie hörte die Hufen des Hengstes auf dem Holz, fühlte die Wärme seines Körpers, roch sein schweißnasses Fell. Sie spürte einen Lufthauch neben ihrem Kopf und hörte ein kurzes Zischen. Sie riss die Augen auf, schaute zurück. Einer der Reiter war am Ufer des Flusses stehen geblieben und zielte bereits mit einem zweiten Pfeil auf sie. Sie sah, wie er die Sehne losließ. Instinktiv duckte sie sich zur anderen Seite. Sie fühlte einen brennenden Schmerz an der rechten Schulter. Dann hatte sie die Brücke hinter sich gelassen.
Lothiel versuchte, den Schmerz zu verdrängen und hielt auf den Wald zu. Jetzt war nur noch ein Reiter hinter ihr und der verlor zusehends an Boden. Dennoch machte sie sich Sorgen um Carroch. »Nur noch bis zu dem Wald«, flüsterte sie ihm ins Ohr. »Gleich darfst du dich ausruhen. Bitte halte durch.« Sie hatte den Wald noch nicht ganz erreicht, da hörte sie einen leisen Fluch hinter sich. Ihr Verfolger hatte aufgegeben. Gleich darauf umfing sie der rettende Forst.
Lothiel stieg ab und führte Carroch tiefer in den Wald hinein. Sie hörte Wasser rauschen und als sie an einen kleinen Bach kam, ließ sie das Pferd frei und trank selbst in tiefen Zügen. Dann rollte sie sich auf den Rücken und konnte die Tränen nicht zurückhalten.
Waren es Tränen der Erleichterung, der Furcht oder der Wut? Sie wusste es nicht. Ihre Gefühle tanzten einen grausamen Tanz. Sie war dem Schlimmsten entkommen. Doch welches Grauen hatte sie hinter sich gelassen! Noch vor wenigen Tagen war sie glücklich und sorglos an der Seite Adars zur Grenzfeste gefahren. Nun verfolgten sie Tod und Schrecken auf Schritt und Tritt. Traf nicht sie die Schuld am Tod Ellians und seiner Begleiter? Sie hatte seine
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