Das Lächeln der Kriegerin
Weg durch die Ebene zum Pann zu strecken, hatten die Männer der Fürsten eine Barrikade aus umgestürzten Fuhrwerken errichtet. Schützen standen hier mit freiem Blick auf das riesige Lager des Feindes. Doch es befand sich außer Reichweite ihrer Bögen und die Fremdländer unterließen es bald, dem Wald zu nahe zu kommen.
Da Rochon als Bote immer unterwegs war, hielt sich Lothiel die meiste Zeit bei Magor auf. Er verbrachte den größten Teil jeden Tages an der Barrikade, um mögliche Bewegungen des Feindes zu beobachten. Lothiel wollte die Pfeile Leithians nicht verschwenden und so wurde es ihre Hauptbeschäftigung, sich neue zu fertigen. Selldur schaute ihr dabei zu und machte es sich zur Aufgabe, ihr zu helfen. Er zeigte viel Geschick und einen noch größeren Ehrgeiz. So fand Leithian wenigstens ab und an ein Opfer, das sich zu weit vor die Zelte gewagt hatte, und Lothiel gelang es, die Fremdländer am ersten Tag so weit zu verunsichern, dass sie die Rückseite ihres Lagers mieden. Die Männer an der Barrikade jubelten bei jedem Treffer, doch Lothiel interessierte das nicht.
Bald gab es auch für sie nur noch selten Gelegenheit, einen Schuss anzusetzen, und sie verlegte sich mehr darauf, mit dem Schwert zu trainieren.
Gern hätte sie sich an den schnellen Vorstößen gegen die Fremdländer beteiligt, aber die gingen bisher nur von den Flanken aus. Immer wieder konnte sie die Reiter von Norden oder Süden an das Lager heranpreschen sehen. Sie ließen sich nie in ausgedehnte Kämpfe verwickeln, zogen sich sofort wieder zurück. Magor erklärte, man wolle auf diese Weise wertvolle Kräfte des Feindes vom Angriff auf Arminas abziehen und Zeit gewinnen. Das mochte zum Teil gelingen, denn Naurhir konnte so das Lager nicht entblößen und sein Heer erlitt stetig Verluste. Aber er ließ sich auch nicht zu Gegenattacken bewegen.
Stattdessen sah und hörte man weiterhin die gewaltigen Katapulte ihre schweren Geschosse über den Fluss schicken und jede Nacht zur dunkelsten Stunde erleuchteten die Blitze des Feuermeisters den Himmel. Lothiel fürchtete, es könne zu lange dauern, bis sie eine Stärke erreicht hätten, mit der sie einen offenen Angriff wagen könnten. Selbst eine so mächtige Stadt wie Arminas würde nicht ewig standhalten.
Selldur brachte ihr und Magor am Abend Suppe und Brot. Dann zog er aus seinem fleckigen Wams ein großes Bündel neuer Pfeile hervor.
»Das ist lieb von dir«, sagte Lothiel, »doch es gibt im Moment wenig, worauf es sich zu zielen lohnt.«
»Das wird leider nicht so bleiben. Und wenn es so weit ist, will ich nicht, dass du plötzlich mit leerem Köcher dastehst.«
»Hör endlich auf, dir ständig Sorgen um mich zu machen!«, fuhr ihn Lothiel an.
»Nein!«, antwortete Selldur zu ihrer Überraschung mit fester Stimme. »Nein, das tue ich nicht! Wenn es etwas gibt, das du mir nicht verbieten kannst, dann ist es, mir Sorgen um dich zu machen.« Er wischte sich mit dem Handrücken über die Augen, kehrte ihr den Rücken zu und verschwand zwischen den Bäumen. Lothiel tat es leid, doch sie ging ihm nicht nach.
Am nächsten Tag fühlte sich Lothiel durch Selldurs Anwesenheit noch mehr gestört. Sie bemerkte zwar, dass er einen gewissen Abstand zu halten suchte, es gelang ihm aber auch nicht, sich vollständig von ihr fernzuhalten. Lothiel verspürte eine Mischung aus schlechtem Gewissen und Abscheu und es gab wenig, mit dem sie sich davon ablenken konnte. So beschloss sie schließlich, mit Carroch ein wenig die Gegend zu erkunden.
Der Wald unterschied sich kaum von dem, in dem ihr Zuhause gewesen war. Man hätte meinen können, sie reite durch die heimatlichen Gefilde, wenn ihr hier auch nichts vertraut war. Und es schien ihr, als übertrüge sich ihre eige ne Anspannung auf die Stimmung unter den Baumkronen. Oder war es umgekehrt? Die Vögel klagten ihre Trauer und sangen von ihrer Furcht. Die Blätter der Bäume wisperten ängstlich oder sanken entkräftet zu Boden. In den Ästen knackte es geheimnisvoll. Und kein Tier, nicht einmal ein Eichhörnchen, zeigte sich.
Der Wald erschien ihr trostlos. Doch gab es in diesen Tagen einen Ort, der ihr ein anderes Bild geboten hätte? Sie suchte die Einsamkeit, da der eine Mensch, dessen Nähe ihr angenehm war, nicht bei ihr sein konnte. Aber wohin sie sich auch wandte, sie traf früher oder später auf Leute. Die meisten gehörten wohl zum Gefolge der vier Fürsten und viele grüßten sie höflich oder ehrfurchtsvoll. Sie sah aber auch
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