Das Lächeln der Kriegerin
ihr auf. Links und rechts von ihr standen nur wenige Bäume. Dass der Weg, der zum Hof führte, einen Hügel hinaufkroch, war ihr bis dahin gar nicht aufgefallen. Die brachliegenden Felder, die ihn säumten, versprachen auf dem kargen Boden nur magere Ernten. Als sie sich umdrehte, sah sie weitere Gehöfte. Sie befand sich am Rand eines Dorfes. Die Berge waren nah.
Hinter ihr kam ein Mann den Weg hinauf. Sein nicht großer, aber kräftiger Körper steckte in einfacher Bauernkleidung. Sein Schritt war hastig und Lothiel sprang zur Seite. Doch er schien sie nicht wahrzunehmen. Er verschwand in dem Haus, in dem Lothiel gerade noch ihr Elternhaus wiedererkannt zu haben glaubte. Sie folgte ihm ins Innere.
Der Mann stand mit einem älteren an der Feuerstelle und redete auf ihn ein.
»Es ist an der Zeit, zurückzuholen, was unseren Ahnen genommen wurde, Vater.«
Der Angesprochene blickte auf, doch er schaute in Lothiels Augen. Sie erkannte ihn. Wieder fiel ihr die Ähnlichkeit mit Cennan auf.
»Es ist eine sehr alte Rechnung, die du begleichen willst, mein Sohn«, sagte Drugon und wandte sich dem Jüngeren zu.
»Erst jetzt hat sich ein Mann gefunden, der sie begleichen kann.«
»Du sprichst von Gashbaas. Man hört, er sei ein furchterregender Hexer.«
»Doch er ist auf unserer Seite.«
Drugon sah wieder zu Lothiel. Sein Gesicht verzerrte sich, als habe er große Schmerzen. Dann wurde es zu einer ledernen Kriegsmaske. Auch das Antlitz seines Sohnes verbarg sich nun hinter einer hässlichen Fratze. Als sie sich der Tür näherten, sah Lothiel auch die Abzeichen der roten Faust auf dem schwarzen Brustleder. Zwei weitere Gestalten lösten sich aus dem Dunkel des Raumes und folgten den Männern. Lothiel wusste, es waren der jüngere Sohn Drugons und der Erstgeborene seines Ältesten. Mit stolzem Schritt folgte der Vierzehnjährige seinem Vater, seinem Großvater und seinem Onkel, der nur wenige Jahre mehr zählte als er.
Lothiel hörte ein leises Wimmern hinter sich und noch bevor sie sich umdrehte, ahnte sie, von wem es stammen musste. Drugons Frau sah sie mit vorwurfsvollem Blick an. Doch sie sprach nicht zu ihr. Lothiel ertrug den Anblick nicht lange und drehte sich wieder der Tür zu. Da sah sie Drugon heimkehren.
Sie wunderte sich, wie schlank der Jagdpfeil war, der aus Drugons linkem Auge ragte. Der Blick des rechten richtete sich leer und starr auf seine Frau, deren Atem zu einem heiseren Keuchen wurde, als sie ihn mit zitternden Händen empfing.
»Ich bin zurückgekehrt, um dir dies zu berichten: Du hast deinen Mann, deine Söhne und deinen Enkel verloren.«
Die Frau wurde ganz ruhig. Ihre Augen fanden Lothiel und ihr Blick hielt sie fest. Kein Blinzeln unterbrach ihr Starren. »Wer hat mir das angetan?«
»Sie«, antwortete Drugon. Er sah nur seine Frau an. »Ihr Pfeil traf mich hinter Iden.«
Lothiel wand sich unter den Blicken der Frau. »Es tut mir leid«, schrie sie den Toten an. »Ich wollte das nicht!«
»Sie war ein unschuldiges kleines Mädchen«, sagte Drugon. »Ich sah die Furcht in ihren Augen.«
»Was geschah meinen Söhnen, Blöd und Dreor, und Geomor, dem Sohn meines Sohnes?«
Lothiel konnte ihren Blick nicht mehr ertragen, wollte fort. Doch sie war unfähig, sich zu bewegen. Nur Drugon stand zwischen ihr und der Frau, den Rücken Lothiel zugewandt, den Kopf leicht zur Seite geneigt, sodass sie den Pfeil bei jedem seiner Worte erzittern sah.
»Ich glaubte sie in Sicherheit. Die Schlacht um die Grenzfeste hatte sie verstört. Sie blieben in einem Dorf zurück. Waldruh nannten es die Bewohner. Alle drei waren bei einem Trupp, der die Gegend sicherte. Sie stießen auf einen Hof wie unseren und manch einer ihrer Kameraden fand den Tod. Auch dein Enkel wurde verwundet. Doch ihre Einheit behielt die Oberhand. Dann kam sie. Sie war ein Monster ohne Gnade, führte den Tod als Waffe bei sich. Sie kam in der Nacht. Blöd und Dreor waren unter den ersten Opfern, denn sie hielten die erste Wacht. Geomor folgte ihnen in den Tod, als er trotz seines verwundeten Beines seinem sterbenden Vater zu Hilfe kommen wollte. Sie nahm dir deine Liebsten in einer Nacht. Sie lächelte dabei.«
Nun endlich wandte sich Drugon Lothiel zu. Sein verbliebenes Auge betrachtete sie. Es war frei von Hass und auch im starrenden Blick seiner Frau konnte Lothiel nur unendliche Trauer erkennen.
»Sie haben meine Eltern umgebracht!«, schrie sie. »Es ist nicht meine Schuld! Es ist der Krieg! Dieser verdammte
Weitere Kostenlose Bücher