Das Lächeln der Kriegerin
Krieg!«
Niemand antwortete ihr. Sie sah den Wächter von Rochon, hinweggerissen von dem tödlichen Geschoss. Den nördlichen Posten an den Stamm genagelt. Den Verwundeten, der noch im Sterben nach seinem Vater rief. Alles war rot und unwirklich. Brennende Männer stürzten von den Barrikaden. Sie sah das Schwert in der Kehle des Toten. Die Gefallenen auf dem Schlachtfeld zwischen ihren Kameraden. Doch keiner trug eine Maske. Sie musste jedem ins Gesicht sehen.
Viele Gesichter: schöne und hässliche, breite und schmale, dunkle und helle. Dann sah sie nur noch ein einziges, wohin sie auch schaute: Es war das Adars.
»Merke dir eines, Loth: Es ist nicht gut, einen Menschen zu töten.«
»Es tut mir leid!«, schrie sie und schreckte auf.
Sie spürte die Tränen auf ihren Wangen. Um sie herum war es dunkel. Sie war ganz allein. Nein. Sie spürte einen festen Druck an ihrer Hand. Lothiel konnte ihn nicht sehen, doch sie wusste, dass es Selldur war. Vermutlich schlief er noch. Es musste mitten in der Nacht sein. Der Mond war zwischen den Bäumen kaum zu sehen, doch er stand noch hoch am Himmel. Die Königin hatte aus Vorsicht jedes Feuer verboten. Bei Tagesanbruch sollte die Verfolgung Naurhirs beginnen. Die nachrückenden Fußtruppen waren ihm nicht begegnet und die Königin hoffte, ihn spätestens in der Grenzfeste zu stellen.
Dort würde das Morden weitergehen, wenn es nicht gelänge, die Fremdländer friedlich zum Abzug zu zwingen. Die Fremdländer, hinter deren Masken sie Gesichter wusste, die sich von denen in Laindor nicht unterschieden.
Konnte sie je wieder den Bogen heben, ohne an Drugon und seine Kinder zu denken? Wie viele Mütter sollte sie noch ihrer Söhne berauben? Wie viele Frauen ihrer Männer und wie viele Kinder ihrer Väter?
Und doch: Sie waren mordend und raubend in ein friedliches Land eingedrungen. In ihr Land. Das Land von Selldur, Rochon und Magor. Von Adar und Naneth. In das Land einer Königin, die noch im Kampf um die Gefallenen weinte. Das war Unrecht. Und es war der rechte Weg, dieses Land zu verteidigen.
Aber nun schien ihr dieser Weg schwerer als je zuvor. Und wieder drang die Stimme ihres Vaters in ihren Kopf: »Es ist nicht gut, einen Menschen zu töten.«
Gab es keinen Ausweg?
»Selldur.«
Er öffnete schlaftrunken die Augen.
»Selldur, wach auf!«
»Was ist?« Er sprang auf. »Geht es los?«
»Ich will fort.«
»Fort? Wohin?«
»Fort von all dem.« Selbst in der Dunkelheit bemerkte sie seine aufkeimende Hoffnung.
»Du willst nicht mehr kämpfen?«
»Nein. Kommst du mit mir?«
»Da fragst du noch?«
»Wo sollen wir hin?«, fragte Selldur, als sie ein Stück hinter dem Lager aufgesessen waren.
»Ich weiß es nicht. Vielleicht in die Königsstadt. Dort ist es jetzt sicher. Dann könnten wir nach deiner Familie Ausschau halten.«
Selldur wippte aufgeregt auf seinem Schimmel auf und ab, bis er beinah herunterfiel. »Ich hätte nie gedacht, dass du noch zur Vernunft kommst.« Er sah sie an. Das dämpfte seine Freude. »Was ist mit Rochon und Magor?«
»Sie hätten sich uns nicht angeschlossen. Vielleicht hätten sie uns nicht ziehen lassen. Ich verlasse sie nicht gern, aber das ändert nichts. Sie sollen ihren Weg gehen, wir gehen unseren.«
Selldur schwieg. Lothiel war das recht. Sicher konnte er ihr ansehen, wie schwer ihr die Entscheidung gefallen war.
Die Morgensonne ließ den Pann glitzern. Majestätisch floss der breite Fluss durch eine verwüstete Landschaft. Der Boden war zerwühlt, das Gras niedergetreten. Verwaist standen die Kriegsmaschinen Naurhirs als stumme Zeugen der grausamen Ereignisse am Flussufer. Auf dem Schlachtfeld des Vortages trugen Menschen aus der Stadt die zahllosen Toten zusammen. Wagen standen bereit, die die Gefallenen Laindors zu ihrer letzten Ruhestätte bringen würden. Den Fremdländern wurden Waffen und Wertgegenstände abgenommen. Die Leichen sollten wohl verbrannt werden, denn man schichtete sie zu großen Haufen.
Lothiel atmete tief durch, als sie die Brücke erreichten. Sie warf einen Blick auf den Fluss und es schien ihr, als sei es nicht allein die Morgensonne, die seine Wasser rötlich färbte. In den mächtigen Stadtmauern zeigten sich Risse und Brüche, bei den Toranlagen sah man schwarze Verfärbungen und das äußere Tor hing zerborsten in seinen Angeln.
»Bei Tyaro«, rief Selldur. »Die Stadt ist nur um ein Haar einem grausamen Schicksal entgangen.«
Lothiel antwortete nicht.
Ein Trupp Reiter kam
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