Das Laecheln der Sterne
Jura studierte. Damals galten sie als das perfekte Paar – er war groß und schlank und hatte schwarz gewelltes Haar. Sie war brünett mit blauen Augen und um einiges schlanker als jetzt. Ihr Hochzeitsfoto hatte gut sichtbar direkt über dem Kamin gehangen. Ihr erstes Kind wurde geboren, als sie achtundzwanzig war, und in den nächsten drei Jahren bekam sie noch zwei Kinder. Wie anderen Frauen auch fiel es ihr schwer, nach den Geburten ihr altes Gewicht wiederzuerlangen, doch sie bemühte sich und fand, dass sie schließlich wieder eine recht attraktive Figur hatte.
Und Adrienne war glücklich. Sie kochte sehr gern, und sie 39
hielt das Haus in Schuss. Sonntags ging die ganze Familie zum Gottesdienst, und Adrienne gab sich Mühe, für sich und ihren Mann einen Freundeskreis zu schaffen. Als die Kinder zur Schule kamen, meldete sie sich als freiwillige Helferin in ihren Klassen. Sie ging zu den Elternabenden und half im Kindergottesdienst mit, und wenn bei Ausflügen Mütter mit Autos gesucht wurden, war sie die erste, die sich anbot.
Sie besuchte Klavier-Vorspielabende und
Theateraufführungen in der Schule, ging zu Baseball- und Footballspielen, brachte ihren Kindern das Schwimmen bei und freute sich über deren erstaunte Gesichter, als sie das erste Mal Disney-World besuchten. Zu ihrem vierzigsten Geburtstag organisierte Jack eine Überraschungsparty in ihrem Club, zu der fast zweihundert Gäste kamen. Es war ein fröhlicher Abend, doch später, als sie nach Hause kamen, fiel Adrienne auf, dass Jack ihr nicht beim Ausziehen zusah. Stattdessen löschte er das Licht, obwohl er, dessen war sie sicher, gar nicht so schnell einschlafen konnte, wie er vorgab.
Rückblickend dachte sie, sie hätte darin ein erstes Anzeichen dafür erkennen können, dass etwas in ihrer Ehe nicht stimmte.
Doch mit den drei Kindern und dem Haushalt hatte sie zu viel zu tun, um sich lange darüber zu wundern. Außerdem fand sie es nicht unnormal, dass ihre Leidenschaft füreinander vorübergehend nachlassen konnte. Sie war lange genug verheiratet, um das begriffen zu haben. Sie nahm an, die Leidenschaft würde irgendwann neu entflammen, schließlich hatten sie solche Phasen auch früher schon erlebt. Aber diesmal entflammte sie nicht neu. Als Adriennes einundvierzigster Geburtstag nahte, war sie ziemlich besorgt um ihre Ehe und suchte in der Selbsthilfe-Abteilung der Buchhandlung nach Büchern mit Ratschlägen, wie sie ihrer Ehe neuen Schwung verleihen konnte. Manchmal sehnte sie sich jedoch auch nach einer Zeit in der Zukunft, wenn das Leben ruhiger werden würde. Sie stellte sich vor, wie es sein würde, Großmutter zu 40
werden, oder was sie und Jack tun würden, wenn sie wieder mehr Zeit füreinander hätten. Vielleicht würde ihre Beziehung dann wieder so werden wie früher.
Ungefähr zu der Zeit musste es gewesen sein, dass sie Jack mit Linda Gaston in einem Restaurant sitzen sah. Sie wusste, dass Linda für Jacks Kanzlei in einer Dependance in Greensboro arbeitete. Obwohl Linda auf Eigentumsrecht spezialisiert und Jack im Allgemeinen Strafrecht tätig war, wusste Adrienne, dass sie sich gelegentlich über ihre Fälle austauschen mussten.
Deshalb war sie nicht überrascht, die beiden zusammen zu sehen. Linda war zwar keine enge Freundin, aber sie war häufig in ihrem Haus zu Gast gewesen, und sie hatten sich immer gut verstanden, obwohl Linda zehn Jahre jünger und unverheiratet war. Erst als Adrienne das Restaurant betrat, fiel ihr auf, wie zärtlich die beiden sich anblickten. Und plötzlich wusste sie mit Sicherheit, das sie sich unter dem Tisch an den Händen hielten.
Einen Moment lang stand Adrienne wie angewurzelt da, doch statt die beiden zur Rede zu stellen, verließ sie das Lokal, bevor Jack und Linda sie bemerkten.
Weil sie das, was sie gesehen hatte, nicht wahrhaben wollte, bereitete sie Jack an jenem Abend sein Lieblingsessen zu und sagte nichts. Sie tat so, als hätte sie nichts gesehen, und nach einer Weile gelang es ihr, sich selbst davon zu überzeugen, dass ihre Vermutung falsch gewesen war. Vielleicht ging es Linda nicht gut, und Jack hatte sie getröstet. Das würde zu ihm passen. Oder vielleicht war es auch nur eine flüchtige Faszination gewesen, die zu nichts Weiterem geführt hatte, eine Liebesgeschichte, die sich nur in der Fantasie der beiden abgespielt hatte.
Aber es kam anders. Mit ihrer Ehe ging es immer weiter bergab, und innerhalb weniger Monate bat Jack Adrienne, in die Scheidung einzuwilligen.
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