Das Lächeln der Toten • Ein Merrily-Watkins-Mystery
Gilde Glaubwürdigkeit zu verleihen. Es hieß, dass Ludlows Wallfahrer im elften Jahrhundert einen Ring des Evangelisten Johannes mitgebracht hatten, den sie dem damaligen englischen König darbrachten, Edward dem Bekenner. Und das zeigt das Fenster. Wahrscheinlich ist es aber eine Erfindung.»
«Auf deren Grundlage die Gilde Pfarrer eingesetzt hat, oder?»
«Damit sie dafür beten, dass ihre verstorbenen Mitglieder schnellstens aus dem Fegefeuer kommen. Mittelalterlicher Dünkel, für uns schwer zu begreifen, aber das war ganz klar die wichtigste Funktion der Gilde. Am Anfang haben sie drei Geistliche beschäftigt, die auch für die Kirchen in den Gemeinden gearbeitet haben, aber im fünfzehnten Jahrhundert waren es schon acht, die sich um die Launen der viertausend Gildemitglieder kümmern mussten. Ziemlich viele Gebete, ziemlich viele Messen.»
«Und in allen ging es um Unsterblichkeit.»
«In jedem Fall hat sie die Frage, was nach dem Leben kommt, sehr viel mehr beschäftigt als ihre gesellschaftliche Gegenwart. Auch wenn sie dachten, Gott wäre bestechlich.»
«Ich habe heute Nachmittag Mrs. Pepper getroffen.» Merrily drückte ihre Zigarette aus. «Kurz.»
«Und, wirkte sie verrückt?»
«Gewissermaßen. Sie hat eine Eibe geküsst.»
«Wie bitte?»
«Eine Eibe. Geküsst. Sehr sinnlich.»
«Ich weiß nicht, was ich dazu sagen soll.»
«Die Eibe ist
das
Natursymbol für die Unsterblichkeit. Ich versuche nur, eine Verbindung zur
Palmers’ Guild
zu finden, die ihr Haus gebaut hat und offensichtlich eine ähnliche Obsession verfolgte.»
«Nicht mehr als jeder andere damals auch. Und diese Frau hat für das Christentum ja nicht gerade viel übrig.»
«Aber sie ist geradezu besessen vom örtlichen Gedächtnis. Von Geistern. In dem Sinne, dass Ludlow auf mehr als einer Zeitebene existiert. Als wollte sie Erfahrungen in anderen … ich weiß nicht. Ich weiß nicht, ob da halluzinogene Drogen im Spiel sind oder so. Aber es ist irgendwie faszinierend. Ich hatte den Eindruck, dass sie heute eine ziemliche Schau abgezogen hat. Zum Teil, weil sie Rocksängerin war, und eine ziemlich dramatische dazu, und diese Art der Zurschaustellung einfach ihr natürliches Element ist … aber zum Teil auch, weil es ein guter Deckmantel ist. Wenn die Leute einen für verrückt halten, lassen sie einen in Ruhe. Wie die Leute auf die Verrücktheit reagieren, verrät einem, ob sie … sind Sie überhaupt noch dran, Bernie?»
«Merrily … Sie … mir gefällt der Gedanke nicht, dass Sie da in irgendetwas hineingezogen werden.»
«Ich?»
«Sie müssen sich im Moment doch schrecklich unsicher fühlen.»
«Unsicher», sagte Merrily. «Sie sucht ganz offensichtlich nach einer Art Sicherheit. Nach Akzeptanz.»
«Aber von wem? Doch sicher nicht von George Lackland.»
«Von den Toten?», sagte Merrily. «Könnten Sie sich das vorstellen?»
29 Die großen Worte
Merrily konnte sich nicht erinnern, wann Jane zuletzt so vergnügt gewesen war – sie stellte die CD von
The Coral
ab, kam zum Sofa zurück, kuschelte sich mit einem Kissen hin, wie sie es mit zwölf Jahren immer gemacht hatte, und gab erstickte Kicherlaute von sich.
«Das …» – teuflisches Lächeln – «… könnte der lange hinausgezögerte Neuanfang sein, Mom. Das Erwachen der neuen Merrily, in wallenden Kleidern und mit Schlangenarmreifen. Das wird so cool, dass du nie wieder in den Schoß der grimmigen alten Kirche zurückkehren willst, und die Zukunft öffnet sich vor dir wie … eben wie etwas, das sich öffnet. Wie eine Sonnenblume. Oder so.»
«Und wir geben das Pfarrhaus auf», sagte Merrily, «und lassen uns für einen Wohnwagen mit Windspiel vormerken, in dem wir im selben Raum schlafen müssen und die Dusche mit den Nachbarn teilen und –»
«Auf keinen Fall, das machst du mit Lol!»
Lol. Merrily sah auf die Uhr. Er stand jetzt auf der Bühne, wenn er seine Nerven in den Griff bekommen hatte – mit Hilfe von Moira Cairns, der Frau, die ihn genötigt hatte, wieder aufzutreten, und die für Lol eine Art Maskottchen geworden war.
Vielleicht sollte er mit Moira Cairns zusammenleben.
Jane starrte Merrily mit großen Augen an. Hatte sie das etwa laut gesagt?
«Wow», sagte Jane. «Du bist immer noch paranoid wegen Moira.»
«Ach, ist doch läch–»
«Ha!»
«Ich bin erwachsen, Jane.»
«Das ist nur, weil du sie nie kennengelernt hast», sagte Jane. «Als sie aufgetaucht ist, hab ich mir auch Sorgen gemacht, weil sie einen
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