Das Lächeln der Toten • Ein Merrily-Watkins-Mystery
herziehen – ganz zu schweigen davon, warum sie in gewissen Kreisen berühmt war. Er wusste, dass Sues Mutter von ihrem Vater für diese Frau verlassen worden war, die er dann heiratete. Doch es hatte nicht lange gehalten, und er war nach Amerika gegangen und hatte dort eine neue Familie gegründet.
«Sie hat … ein beachtliches Vermögen, Bernard. Susannah ist ihre Anwältin und finanzielle Beraterin. Und seit neuestem auch ihr Kindermädchen. Und das hat sie auch nötig, bei Gott. Tag und Nacht. Vor allem nachts.»
Merrily sagte nichts. Sollte es auf seine eigene Weise herauskommen.
«Wann immer sie über ihre finanziellen Angelegenheiten sprechen musste, ist Susannah zu ihr gefahren», sagte der Bürgermeister, «ganz gleich, wo sie in dem Moment zufällig gerade war. Sie ist oft umgezogen, London, Paris, Rom. Und dann … ist sie nach Ludlow gekommen.»
Nun, dieser erste Besuch von der Stiefmutter … auf den ersten Blick schien so weit alles in Ordnung zu sein. Der Altersunterschied zwischen George und Bell betrug mindestens zehn Jahre, aber für diesen ersten Besuch hatte sie sich anständig und zurückhaltend gekleidet, wenn auch ein klein wenig exzentrisch. Sie trug ein Sommerkleid im edwardianischen Stil, und ihre blonden Haare waren ordentlich frisiert, wie Nancy aufgefallen war. Sie wirkte ziemlich mädchenhaft, ziemlich attraktiv.
Und offensichtlich vernarrt in die Stadt, von Anfang an. Zuerst hatte ihm das noch gefallen, er war gar nicht auf die Idee gekommen, dass sie vorhatte zu bleiben …
… Für immer.
George sah den Bischof an. «Weißt du, dass sie versucht hat, an eine der Wohnungen im Castle House heranzukommen?»
«War sie denn dazu berechtigt?» Bernie sagte erklärend zu Merrily: «Auf den Außenmauern des Schlosses ist im … ich glaube, im neunzehnten Jahrhundert ein großes Haus gebaut worden. Später wurden daraus Sozialwohnungen, ob Sie’s glauben oder nicht. Ich weiß nicht genau, wie der Stand der Dinge jetzt ist.»
«Da lebte ein Paar, das hatte einen Mietvertrag über fünfundvierzig Jahre, der erst zur Hälfte abgelaufen war», sagte George. «Und den hat sie zu übernehmen versucht. Sie war vollkommen berauscht von der Idee, im Schloss zu leben. Ich glaube, sie dachte, wenn sie erst einmal die Wohnung hat, dann hätte sie bald das ganze Haus – und könnte sich vielleicht als Schlossbesitzerin fühlen, was weiß ich.»
«Was ist dann passiert, George?»
«Oh, der Powis Estate hat die Sache gestoppt. Die haben andere Pläne mit Castle House. Aber sie hat Geld, und zwar nicht zu knapp, bei Gott. Wie viele Leute sie zu bestechen versucht hat! Glücklicherweise ist der Graf von Powis ein Mann von strengen christlichen Prinzipien, und er hat wohl auch die Gefahr erkannt. Sie hat sich dann letztlich im sogenannten Wehrhaus niedergelassen. Einen Augenblick bitte.»
George ging zu einem langen Mahagoni-Sideboard, zog eine Schublade auf, nahm einen schmalen Kasten heraus und ging damit zu Merrily. Er kippte den Inhalt vor ihr aus, als lege er alle seine Karten auf den Tisch.
«Dies hier ist aus dem
South Shropshire Journal
.»
Er faltete die Fotokopie eines Zeitungsausschnitts auseinander.
Ludlow ist mein Himmel,
sagt die Rockdiva Bell.
Auf dem Farbfoto saß Belladonna in einem hauchdünnen cremefarbenen Kleid mit verschränkten Armen auf den Stufen des Buttercross, der alten Markthalle von Ludlow. Sie sah zierlich aus und ruhig und merkwürdig sittsam.
«Sie spricht nur mit den Lokalzeitungen», sagte George. «Als wär diese Stadt jetzt ihre ganze Welt, alles andere zählt nicht. Als sie hergezogen ist, wollten alle was von ihr – überregionale Zeitungen, das Fernsehen. Aber die sind alle nicht an sie rangekommen.»
«Ich glaube gar nicht, dass sie es wirklich so verzweifelt versucht haben», sagte Merrily. «Sie ist nicht mehr so berühmt wie früher einmal.»
«Wenn diese Journalisten wüssten, was ich weiß, Mrs. Watkins», sagte George, «dann stünde in jeder Zeitung, die es gibt, etwas über sie.»
«Und wirst du uns irgendwann auch verraten, was das ist, George?» Der Bischof ließ seinen Cognacschwenker kreisen. «Merrily ist ja keine Heilige. Sie ist herumgekommen, weißt du.»
«Vielen Dank, Bernie.»
«George weiß schon, wie ich das meine.»
«Es ist absurd», sagte George, «aber für manche Leute hier ist sie eine richtige Heldin. Vor allem für die Zugezogenen, die Wohlhabenden. Wenn Geld gebraucht wird, weil bei irgendeinem
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