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Das Lächeln der Toten • Ein Merrily-Watkins-Mystery

Das Lächeln der Toten • Ein Merrily-Watkins-Mystery

Titel: Das Lächeln der Toten • Ein Merrily-Watkins-Mystery Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Phil Rickman
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aufeinandertrafen, nahm die Schachtel Silk Cut aus ihrer Tasche und dachte über Belladonna und Marion de la Bruyère nach.
    Über Geister.
    In den 1930er Jahren war in der Nähe der Kathedrale wiederholt eine mönchsartige Gestalt gesehen worden. Zuerst von Polizisten. Offenbar war die ganze Stadt in großer Aufregung gewesen. In Aufregung, nicht in Angst. Nicht weniger als zweihundert Menschen hatten sich hier Abend für Abend bei der Kathedrale in der Hoffnung versammelt, den Geist zu sehen. Merrily rauchte und sah aus dem Fenster, dorthin, wo all diese Leute gestanden hatten, in Erwartung einer … multiplen psychologischen Projektion, einer gemeinsamen Halluzination im großen Stil?
    Die Existenz von Geistern, die Natur von Geistern, das war mindestens zur Hälfte die
raison d’être
ihres Berufes.
    Sie rief Jane an, um ihr zu sagen, dass sie auf dem Nachhauseweg war. Ihre Tochter klang müde.
    «Ich gehe wahrscheinlich früh schlafen. Du hast ja vermutlich nicht schon wieder einen Schlag abbekommen, oder?»
    «Nicht so, dass man’s sehen würde. Jane, es tut mir leid, dass ich schon wieder wegmusste.»
    «Spar dir das für Lol auf. Der muss morgen nach Bristol.»
    «Oh Gott, das habe ich ganz vergessen!»
    «Wie immer.»
    «Dann fahre ich wohl besser zu ihm.»
    «Bleib über Nacht, ich komme schon klar.»
    «Ich bin um Mitternacht wieder da», sagte Merrily.
    «Ja», sagte Jane missmutig. «Wie ich dich kenne, hältst du dich da sogar dran.»
     
    Merrily parkte vor dem Pfarrhaus und ging hinein. Eine Küchenlampe brannte noch, aber von Jane war nichts zu sehen. Sie fütterte Ethel, die Katze, und ging dann, aus alter Gewohnheit, leise zu Janes Apartment auf dem Dachboden, nur zur Sicherheit.
    «Nacht, Mom», sagte Jane hinter der geschlossenen Tür. Merrily lächelte.
     
    Sie schaffte es gerade noch zu dem Gemischtwarenladen, der abends lange geöffnet hatte, und kaufte Zigaretten und eine Flasche Weißwein. Das Dorf wirkte jetzt verlassen, die meisten Fenster waren dunkel. Allerdings nicht die von Lol. Er hatte sie kommen sehen. Und stand an der Haustür.
    «Du hast Strom!»
    «Jetzt gibt es kein Zurück mehr», sagte Lol.
    Er fand es immer noch irritierend, dass er jetzt Hausbesitzer war.
    «Nein», sagte Merrily. «Es gibt definitiv kein Zurück mehr.»
    Sie ging die Stufen hinauf und küsste ihn vor all den dunklen Fenstern der Church Street auf den Mund. Sie sah aus nächster Nähe, wie er die Augen aufriss, gleichzeitig zog er sie nach drinnen und ließ die Tür zufallen.
    «Was hast du denn gemacht?»
    Oh Gott, ihre Brille! Die war noch im Auto.
    «Ich …» Sie schluckte. «Würdest du mir glauben, wenn ich dir sage, dass ich gegen einen Laternenpfahl gelaufen bin?»
    «Nein.»
    «Dachte ich mir.» Sie stellte die Flasche auf den Boden und befühlte ihren Priesterkragen. «Tut mir leid, dass ich immer noch in voller Montur bin. Ich lege sie heute Abend für … mindestens eine Woche ab. Ich soll einen Stellvertreter einsetzen, damit ich … ein normaler Mensch sein kann.» Sie schüttelte den Kopf. «Wahrscheinlich bin ich ganz froh, aus dem Kriegsdienst entlassen zu sein, Lol.»
    «Erzähl mir, was passiert ist», sagte Lol.
    Sie sah die Treppe hinauf und stellte sich vor, dass Lucy Devenish dort oben stand und sie erschöpft ansah. Und dann sah sie im Geiste plötzlich Belladonna vor sich, die, in ihren bodenlangen Umhang gehüllt, an der Ludford Bridge stand, Blaulicht auf ihrem hübschen, raubtierhaften Gesicht.
    Merrily dachte an Marion de la Bruyère – ein junges Mädchen, das ihrer Zeit entsprechend auf den Betrug reagiert hatte, dessen Opfer sie geworden war, und jetzt ein mehr als achthundert Jahre alter Geist war – und daran, was der Bürgermeister von Ludlow sich wohl vorstellte.
    Wahrscheinlich ihre letzte Aufgabe als Beraterin für spirituelle Grenzfragen.
    Und es war noch nicht mal offiziell.
    «Eigentlich», sagte sie, «bin ich gar nicht so froh, entlassen zu sein … eher ziemlich sauer.»
     
    Sie hätte einen Deal mit Bernie machen können, erzählte Merrily Gott später: Ich hätte sagen können, rette mein Amt, schaff mir die zwei Idioten vom Hals, und ich helfe Ihnen in Ludlow. Das wäre doch das Naheliegende gewesen, oder?
    Aber … bei der Kirche sollte man schließlich nicht Politik spielen. Ja, ja, die Kirche hat natürlich von Anfang an in der Politik mitgemischt, aber das machte es ja nicht richtiger. Oder? Immerhin hatte sie überlebt. Hätte sie auch

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