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Das Lächeln des Cicero

Das Lächeln des Cicero

Titel: Das Lächeln des Cicero Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Steven Saylor
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sie beide Wache schieben,
morgen entscheiden wir uns dann für einen. Einer patrouilliert
um das Haus und auf dem Pfad, der andere bleibt drinnen in der
Halle.«
    Cicero hatte mir
gesagt, ich solle mich selbst um einen Wächter kümmern;
daran konnte ich mich recht deutlich erinnern. Aber vielleicht
hatte er in seiner Aufregung über die Neuigkeiten, die ich ihm
gebracht hatte, seine eigenen Anweisungen vergessen. Ich konnte
ohnehin nur an die Düfte denken, die mir aus Bethesdas
Küche entgegenschlugen, und an einen langen, sorgenfreien
Nachtschlaf.
    Als ich die Halle
verließ, warf ich einen Blick auf den Rotbart, den Cicero mir
geschickt hatte. Er saß mit verschränkten Armen, den
Blick auf die gegenüberliegende, verschlossene Tür
gerichtet, auf einem Stuhl an der Wand, den blanken Dolch noch
immer gezückt. Über seinem Kopf stand die in Blut
geschriebene Botschaft, so daß ich es nicht vermeiden konnte,
sie ein weiteres Mal zu lesen. »Schweig oder stirb.«
Die Worte machten mich krank; am Morgen würde ich Bethesda die
Wand abschrubben lassen. Ich sah in Rotbarts starre Augen und warf
ihm ein Lächeln zu. Er lächelte nicht
zurück.
    *
    In Komödien
treten häufig Charaktere auf, die etwas Dummes tun, das
für jeden im Publikum, für jeden auf der Welt außer
ihnen selbst völlig offensichtlich dumm ist. Die Zuschauer
zappeln auf ihren Sitzen, lachen und rufen manchmal sogar laut:
»Nein, nein! Siehst du denn nicht, du Dummkopf?« Doch
der zu seinem Schicksal verdammte Mensch auf der Bühne kann
sie nicht hören, und die Götter fahren zu ihrer
großen Belustigung fort, die Vernichtung eines weiteren
blinden Sterblichen in die Wege zu leiten.
    Manchmal jedoch
führen sie uns nur bis an die Schwelle der Katastrophe, um uns
dem Abgrund im letzten Moment zu entreißen, wobei sie sich
über unsere unerklärliche Rettung genauso köstlich
amüsieren wie über unseren unvorhersehbaren
Tod.
    In jener Nacht wachte
ich plötzlich völlig übergangslos auf und trat in
jenen seltsamen Bewußtseinszustand ein, der die Welt zwischen
Mitternacht und Dämmerung regiert. Ich lag allein in meinem
Zimmer. Bethesda hatte mich nach einem ausgiebigen Mahl mit Fisch
und Wein dorthin geführt, mir meine Tunika abgestreift, mich
trotz der Hitze mit einer dünnen Wolldecke zugedeckt und wie
ein Kind auf die Stirn geküßt. Ich stand auf und
ließ die Decke zu Boden sinken; die Nachtluft war stickig vor
Hitze. Das Zimmer lag im Dunkeln, nur ein einzelner Strahl
Mondlicht fiel durch das winzige hohe Fenster. Blind tappte ich zur
Ecke des Zimmers, konnte jedoch in der Finsternis meinen Nachttopf
nicht finden, oder Bethesda hatte ihn ausgeleert und nicht
zurückgestellt.
    Es spielte keine
Rolle. In einer so merkwürdigen Nacht hätte sich ein
Nachttopf in einen Pilz verwandeln oder in Luft auflösen
können, und es wäre mir wie eine Bagatelle vorgekommen.
Ich empfand dasselbe Fremdheitsgefühl wie zuvor, als ich mit
Bethesda in der Halle gelegen hatte. Ich sah und spürte alles
um mich herum mit absoluter Klarheit, und doch kam es mir vor wie
unheimliches und unvertrautes Gelände, als ob der Mond die
Farbe gewechselt hätte, als ob die Götter gen Himmel
aufgestiegen wären und die Erde im tiefen Schlaf sich selbst
überlassen hätten. Alles Mögliche konnte
geschehen.
    Ich schob den Vorhang
beiseite und trat ins Atrium. Vielleicht war ich doch noch nicht
wach und schlafwandelte nur, denn das Haus besaß jene
Unwirklichkeit vertrauter Orte, die durch die Geographie der Nacht
in eine Schräglage gebracht worden waren. Blaues Mondlicht
durchflutete den Garten und verwandelte ihn in einen Dschungel von
Knochen, die messerscharfe Schatten warfen. Im Säulengang
waren vereinzelte Lampen weit heruntergebrannt. Hinter der Mauer,
die die Halle verdeckte, brannte die hellste Lampe von allen und
warf ein schwach gelbes Licht um die Ecke wie ein Lagerfeuer hinter
einem Bergkamm.      
    Ich ging zu der Ecke
des Gartens und raffte meine Tunika. Wie ein Schuljunge
erleichterte ich mich fast geräuschlos, indem ich auf das
weiche Gras zielte. Als ich fertig war, ließ ich meine Tunika
wieder sinken und meinen Blick über das Knochenfeld wandern,
das durch den Schatten einer vorbeiziehenden Wolke in die
eingeäscherten Ruinen Karthagos in einer mondlosen Nacht
verwandelt worden war.
    Inmitten der
Gerüche von Erde, Urin und Hyazinthen witterte ich einen
Knoblauchhauch in der warmen Luft. Der Schein der Lampe in der
Halle flackerte, bewegte sich

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