Das Lächeln des Cicero
fand man ihn mit
durchschnittener Kehle. Die Untersuchung förderte weder
Verdächtige noch Motive zutage; die beiden Söhne
behaupteten, sie hätten fest geschlafen und nichts
gehört. Trotzdem wurden sie wegen Vatermordes angeklagt - und
die Umstände waren in der Tat verdächtig. Wie, so
argumentierte die Anklage, hätten sie ein solches Ereignis
verschlafen können? Warum waren sie nicht aufgewacht und dem
Vater zur Hilfe geeilt? Und welcher Mörder hätte es
gewagt, sich in ein Zimmer mit drei schlafenden Männern zu
begeben mit der Absicht, nur einen von ihnen zu töten und dann
zu verschwinden?
Und doch wurden die
Söhne von den guten Richtern für nicht schuldig
erklärt und von jedem Verdacht losgesprochen. Und was war der
entscheidende Beweis? Die Söhne wurden am nächsten Morgen
bei offener Tür fest schlafend vorgefunden! Wie könne das
angehen, so argumentierte die Verteidigung, und die Richter waren
einhellig ihrer Meinung, wenn sie wirklich schuldig wären?
Denn welcher Mann könne, nachdem er alles göttliche und
menschliche Recht durch ein so ruchloses Verbrechen entweiht habe,
hinterher ruhig einschlafen? Männer, so die Logik der
Verteidigung, die eine derart empörende Untat begangen hatten,
könnten unmöglich im selben Zimmer fest geschlafen, ja
neben der noch warmen Leiche ihres Vaters geschnarcht haben. Also
wurden die beiden Söhne von Titus Cloelius
freigesprochen...
Ja, ja, der Teil ist
sehr gut, wirklich sehr gut, kein Wort muß geändert
werden.«
Er räusperte sich
geräuschvoll und flüsterte leise vor sich hin, bevor er
seine Stimme wieder erhob. »Die Geschichte weiß von
Söhnen, die, um den Vater zu rächen, ihre Mutter
getötet haben: Orest, der Klytämnestra ermordete, um
Agamemnon zu rächen, Alkmäon, der aus Rache für
Amphiaraus Eriphyle umbrachte... oder war es Amphiaraus, der
Eriphyle tötete? Nein, nein, so stimmt’s
schon...
Und obwohl diese
Männer im Einklang mit dem Willen der Götter gehandelt
haben und Orakelsprüchen gefolgt sein sollen, haben die Furien
sie dennoch gnadenlos gehetzt und niemals zur Ruhe kommen lassen,
denn dies ist die Natur, selbst wenn die Tat in Erfüllung
ihrer Kindespflicht gegenüber einem ermordeten Vater geschehen
ist, der Natur... Nein, nein, Moment, so geht’s nicht. Das
ergibt überhaupt keinen Sinn. Zu viele Worte, viel zu viele
Worte...«
»Soll ich die
Vorhänge öffnen?« fragte Tiro. Ich richtete mich
auf dem Diwan auf, rieb mir die Augen und fuhr mit der Zunge
über meine ausgetrockneten Lippen. Diese Kammer war wie ein
Ofen, drückend heiß und ohne einen Luftzug. Das Licht,
mit dem die gelben Vorhänge getränkt waren, war ebenso
grell wie Ciceros Stimme.
»Auf gar keinen
Fall«, sagte ich. »Dann müßte ich ihm nicht
nur zuhören, sondern auch noch Zusehen. Ich bin nicht sicher,
daß ich soviel Helligkeit ertragen würde. Gibt es hier
irgendwas zu trinken?«
Er ging zu einem
kleinen Tisch und goß mir ein Glas Wasser aus einem silbernen
Krug ein.
»Wie spät
ist es, Tiro?«
»Wir haben jetzt
die neunte Stunde - zwei Stunden nach Mittag.«
»Ah, dann haben
wir noch eine Stunde Zeit bis zu unserer Verabredung. Ist Rufus
schon auf?«
»Rufus Messala
ist schon seit Stunden auf dem Forum. Cicero hat ihm eine ganze
Liste mit Aufträgen mitgegeben.«
»Und meine
Sklavin?«
Tiro lächelte
verhalten. Was hatte Bethesda getan - ihn auf die Wange
geküßt, ihm geschmeichelt, ihn geneckt oder einfach nur
mit den Augen geblitzt? »Ich weiß nicht, wo sie jetzt
ist. Cicero hat Anweisung gegeben, daß sie nichts weiter tun
muß, als sich um deine Bedürfnisse zu kümmern, aber
sie hat heute morgen freiwillig angeboten, in der Küche zu
helfen. Bis die Köchin darauf bestanden hat, daß sie sie
wieder verläßt.«
»Laut kreischend
und ihr Töpfe nachwerfend, nehme ich doch
an.«
»So in der
Art.«
»Nun gut, wenn
du den Verwalter siehst, kannst du ihm sagen, er kann sie in meine
Kammer sperren, wenn er möchte. Soll sie doch hier sitzen und
Cicero den ganzen Tag beim Deklamieren zuhören. Das sollte
Bestrafung genug für alle zerbrochenen Schalen und Teller
sein.«
Tiro runzelte die
Stirn, um zu zeigen, daß ihm mein Sarkasmus mißfiel.
Eine leichte Brise wehte durch die gelben Vorhänge und trug
Ciceros Stimme mit sich: »Und eben wegen jener Schwere des
Verbrechens des Vatermordes muß die Tat unwiderlegbar
bewiesen werden, bevor ein vernünftiger Mann es glauben kann.
Denn welcher Wahnsinnige, welcher
Weitere Kostenlose Bücher