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Das Lächeln des Cicero

Das Lächeln des Cicero

Titel: Das Lächeln des Cicero Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Steven Saylor
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ich.
»Roscia.«
    Tiro verbarg sein
Gesicht und schluchzte laut.
    *
    Cicero war außer
sich vor Wut. Er rannte im Zimmer auf und ab wie ein Wolf. Es gab
Momente, in denen ich glaubte, er würde den armen Tiro, der
händeringend und schluchzend dasaß, tatsächlich
schlagen. Statt dessen warf er die Arme in die Luft und schrie sich
die Lunge aus dem Leib, bis er so heiser war, daß er kaum
noch ein Wort herausbrachte.
    Gelegentlich versuchte
Rufus, zu vermitteln und die Rolle des alles verstehenden und
vergebenden Patriziers zu spielen. 
    Die Rolle stand ihm
schlecht. »Aber, Cicero, so etwas kommt ständig vor.
Außerdem braucht Caecilia nichts davon zu erfahren.« Er
streckte den Arm aus, um Ciceros Hand zu greifen, aber Cicero
riß sich wütend los, blind für Rufus’
schmerzerfüllte Reaktion.
    »Während
sich ihr gesamter Haushalt heimlich über sie lustig macht?
Nein, nein, Caecilia mag genau wie ich getäuscht worden sein,
aber du glaubst doch nicht etwa, daß ihre Sklaven nichts
davon mitbekommen haben? Es gibt nichts, absolut nichts Schlimmeres
als einen Skandal, der sich direkt vor der Nase einer
römischen Matrone abspielt, während ihre Sklaven sich
hinter ihrem Rücken darüber amüsieren. Der Gedanke,
daß ich solche Schande über ihr Haus gebracht habe! Ich
kann ihr nie wieder offen in die Augen sehen.«
    Tiro schniefte und
schreckte zusammen, als Cicero an ihm vorbeikam. Ich kratzte das
Blut von meinen Fingernägeln und stöhnte innerlich
über die ersten Anzeichen eines heftigen Kopfschmerzes. Im
Atrium konnte man das erste Licht der Dämmerung
ausmachen.
    »Laß ihn
auspeitschen, wenn es sein muß, Cicero. Oder laß ihn
erhängen«, sagte ich. »Es ist schließlich
dein gutes Recht, und niemand würde etwas dagegen einwenden.
Aber schone deine Stimme für den Prozeß. Indem du hier
rumschreist, bestrafst du nur Rufus und mich.«
    Cicero erstarrte und
sah mich wütend an. Zumindest hatte ich seinem
unaufhörlichen Hin- und Herrennen ein Ende gemacht.
    »Tiro hat
möglicherweise wirklich dumm und verwerflich gehandelt«,
fuhr ich fort. »Vielleicht hat er sich auch nur verhalten wie
jeder junge Mann, der sich nach Liebe sehnt. Aber es gibt keinen
Grund anzunehmen, daß er dich oder uns verraten hat,
zumindest nicht wissentlich. Er ist getäuscht worden, eine
uralte Geschichte.«
    Einen Moment lang sah
es so aus, als hätte Cicero sich endlich beruhigt. Er atmete
tief ein und starrte zu Boden. Dann explodierte er erneut.
»Wie oft?« wollte er wissen und warf wieder die
Hände in die Luft. »Wie oft?« Wir waren das alles
schon einmal durchgegangen, aber die genaue Zahl schien ihn
besonders zu irritieren.
    »Fünfmal,
glaube ich. Vielleicht sechsmal«, erwiderte Tiro
schüchtern, wie jedesmal, wenn Cicero ihm diese Frage gestellt
hatte.
    »Angefangen hat
es bei meinem ersten, dem allerersten Besuch in Caecilia Metellas
Haus. Wie konntest du dich nur zu so etwas hinreißen lassen?
Und es dann auch noch heimlich zu tun, hinter meinem Rücken,
hinter dem Rücken ihres Vaters und seiner Patronin, direkt in
ihrem Haus! Wo war dein Sinn für Anstand? Oder Schicklichkeit?
Was, wenn man dich entdeckt hätte? Ich hätte keine andere
Wahl gehabt, als über dich an Ort und Stelle die schwerste
Strafe zu verhängen! Und man hätte mich dafür
verantwortlich gemacht. Ihr Vater hätte einen Prozeß
gegen mich anstrengen und mich ruinieren können.« Seine
Stimme war so heiser und kratzend geworden, daß ihr
bloßer Klang mich zusammenfahren ließ.
    »Höchst
unwahrscheinlich«, sagte Rufus gähnend, »in
Anbetracht seiner Lage.«
    »Das spielt
keine Rolle! Wirklich, Tiro. Ich sehe keinen Ausweg aus dieser
Sache. Jede angemessene Strafe, die mir einfällt, ist so
streng, daß sie mich schaudern läßt. Und trotzdem
sehe ich keine Alternative.«
    »Du
könntest ihm natürlich einfach vergeben«, schlug
ich vor und rieb mir meine schmerzenden Augen.
    »Nein! Nein,
nein, nein! Wenn Tiro bloß irgendein einfacher, ahnungsloser
Arbeitssklave der untersten Kategorie wäre, ließe sich
sein Verhalten vielleicht noch entschuldigen - er müßte
natürlich gleichwohl bestraft werden, aber das Verbrechen
wäre zumindest nachvollziehbar. Aber Tiro ist ein Sklave, der
sich mit dem Gesetz besser auskennt als die meisten Bürger.
Was er mit der jungen Roscia getan hat, war nicht der spontane Akt
einer ahnungslosen Kreatur, sondern die bewußte Entscheidung
eines gebildeten Sklaven, dessen Herr ganz offensichtlich viel

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