Das Lächeln des Cicero
nicht,
wie können Capito und Chrysogonus dann rechtfertigen,
daß sie den Besitz behalten?« fragte Rufus.
»Das«,
unterbrach ich, »ist zweifellos der Grund, warum Chrysogonus
und seine Kumpane Sextus am liebsten ganz aus dem Weg schaffen
würden, wenn möglich mit legalen Mitteln. Wenn die
Familie erst einmal ausgelöscht ist, wird es niemanden mehr
geben, der sie herausfordern kann, und die Frage, ob es sich um
eine Ächtung oder einen Mord gehandelt hat, wird
ungeklärt bleiben. Der Skandal ist für jeden offenkundig,
der auch nur beiläufig nach der Wahrheit fragt; deswegen
reagieren sie so verzweifelt und so brutal. Ihnen bleibt nichts
anderes übrig, als jeden zum Schweigen zu bringen, der etwas
weiß oder sich dafür interessiert.«
»Dennoch«,
sagte Cicero, »kommt es mir mehr und mehr so vor, als seien
ihnen die öffentliche Meinung oder selbst die Entscheidungen
des Gerichts völlig egal. Ihr Hauptanliegen ist es, den
Skandal vor Sulla geheimzuhalten. Ich glaube ernsthaft, daß
er nichts davon weiß, und sie sind verzweifelt bemüht,
daß es dabei bleibt.«
»Durchaus
möglich«, sagte ich. »Und sie verlassen sich auch
ohne Zweifel darauf, daß dein Selbsterhaltungstrieb dich
davon abhält, diesen häßlichen Skandal vor der
Rostra zu enthüllen. Du kannst dich unmöglich bis zur
Wahrheit Vorarbeiten, ohne Sullas Namen hineinzuziehen. Du
müßtest ihn zumindest in eine peinliche Situation
bringen, schlimmstenfalls sogar beschuldigen. Man kann den
Ex-Sklaven nicht anklagen, ohne seinen Freund und früheren
Herrn zu beleidigen.«
»Also wirklich,
Gordianus, hältst du so wenig von meinen rhetorischen
Fähigkeiten? Natürlich werde ich auf des Messers Schneide
balancieren müssen. Aber Diodotus hat mich gelehrt, sowohl dem
Takt wie der Wahrheit verpflichtet zu sein. In der Obhut eines
klugen und ehrlichen Anwalts müssen nur die Schuldigen die
Waffen der Redekunst fürchten, und ein wahrhaft weiser Redner
wendet sie nie gegen sich selbst.« Er warf mir sein
selbstbewußtestes Lächeln zu, aber ich dachte im
stillen, daß das, was ich bisher von seiner Rede gehört
hatte, den eigentlichen Skandal nur streifte. Das Publikum mit
unerklärlichen Geschichten von nächtlings ermordeten
Leichen zu schockieren und sie mit epischen Erzählungen
einzulullen war eine Sache; den Namen Sullas fallen zu lassen war,
beim Herkules, eine ganz andere.
Ich warf einen Blick
auf die Sonnenuhr. Uns blieb noch eine halbe Stunde, bevor die
junge Roscia ungeduldig werden würde. Ich verabschiedete mich
von Rufus und Cicero und legte meine Hand auf Tiros Schulter, als
wir das Haus verließen. Hinter mir hörte ich, wie sich
Cicero sofort wieder in seine Rede stürzte und Rufus mit
seiner Lieblingsstelle ergötzte: »Denn welcher
Wahnsinnige, welcher zutiefst verdorbene Auswurf der Menschheit,
bringt über sich und sein Haus solchen Fluch nicht nur der
Menschen, sondern auch der Götter? Ihr wißt, werte
Römer...« Ich sah mich um und beobachtete, wie Rufus
jedem Wort und jeder Geste mit einem Blick atemloser Bewunderung
folgte.
Erst jetzt fiel mir
auf, daß Cicero, bevor wir gingen, kein Wort zu Tiro gesagt
hatte und ihn nur mit einem kühlen Nicken entlassen hatte, als
er sich zum Gehen wandte. Welche Worte auch immer zwischen ihnen
wegen Tiros Benehmen gefallen waren, ich erfuhr sie nicht, weder
von Tiro noch von Cicero; und Cicero erwähnte die Affäre,
zumindest in meiner Gegenwart, nie wieder.
*
Tiro war schweigsam,
als wir das Forum überquerten und den Palatin hinaufstiegen.
Als wir uns dem Ort des Stelldicheins näherten, wurde er
zusehends nervöser, und seine Miene so finster wie die Maske
eines Schauspielers. Als wir in Blickweite des kleinen Parks waren,
faßte er meinen Ärmel und blieb stehen.
»Kann ich sie
zuerst allein treffen, nur einen Moment? Bitte?« fragte er
mit gesenktem Kopf und niedergeschlagenen Augen wie ein Sklave, der
um Erlaubnis bittet.
Ich atmete tief ein.
»Ja, sicher. Aber nur einen Moment. Und sag nichts, was sie
in die Flucht treiben könnte.« Ich stand im Schatten
eines Weidenbaumes und beobachtete, wie er mit schnellen Schritten
auf den Durchgang zwischen den hohen Mauern der angrenzenden Villen
zuging. Er verschwand im Buschwerk, versteckt von Eiben und wild
wuchernden Rosen.
Was er ihr in dieser
grünen Laube sagte, weiß ich nicht. Ich hätte ihn
fragen können, aber das tat ich nicht, und er kam nie von sich
aus darauf zu sprechen. Vielleicht hat Cicero ihn später
verhört
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