Das Lächeln des Cicero
sich
erneut mit einem Panzer aus Bitterkeit zu schützen, was ihr
jedoch nur halb gelang. Es war, als ob sie halbnackt wäre, als
sie schließlich weitersprach, mit unverschämter
Feindseligkeit, zugleich aber mit schmerzlich entblößter
Verletzlichkeit.
»Was willst
du?« flüsterte sie heiser. »Warum bist du
hierhergekommen? Warum kannst du uns nicht einfach in Ruhe lassen?
Sag was, Tiro.« Sie griff nach dem Arm, der noch immer ihr
Handgelenk gepackt hielt, und begann, ihn zärtlich zu
streicheln, wobei sie erst Tiro ansah, bevor sie ihren Blick
demütig senkte. Die Geste wirkte gleichzeitig berechnend und
ehrlich, voller Hintergedanken, aber auch voller Sehnsucht nach
Zärtlichkeit. Tiro lief bis zu den Haarwurzeln rot an. An
seinen weißen Fingerknöcheln und der plötzlichen
Grimasse, die Roscia zog, erkannte ich, daß er, vielleicht
sogar ohne es zu merken, ihr Handgelenk schmerzhaft
zusammenpreßte.
»Sag was,
Tiro«, keuchte sie, und kein Mann hätte mit Sicherheit
sagen können, ob die Tränen in ihrer Stimme echt waren
oder nicht.
»Tiro hat mir
schon genug gesagt.« Ich sah sie direkt an, verschloß
jedoch die Augen vor dem Schmerz in ihrem Gesicht. Ich ließ
meine Stimme kalt und hart klingen. »Mit wem triffst du dich,
wenn du Caecilias Haus verläßt - ich meine, außer
mit Tiro? Ist dies der Ort, wo du die Geheimnisse deines Vaters an
die Wölfe weitergibst, die ihn bei lebendigem Leib geschunden
sehen wollen? Sag es mir, du dummes Kind! Welche Belohnung konnte
dich dazu verleiten, dein eigen Fleisch und Blut zu
verraten?«
»Mein eigen
Fleisch und Blut!« kreischte sie. »Mein eigen Fleisch
und Blut? Ich hab kein Fleisch! Das ist das Fleisch meines Vaters,
das hier!« Sie riß sich aus Tiros Umklammerung los und
kniff sich in eine Handvoll Fleisch am Oberarm. »Dieses
Fleisch, das ist sein Fleisch!« wiederholte sie, hob den Saum
ihres Gewands, um mir ihre nackten, weißen Beine zu zeigen,
und kniff sich in die strammen Muskeln, als könne sie ihr
Fleisch von den Knochen zupfen. »Und das, und das! Nicht
meins, sondern seins!« schrie sie und kniff sich in die
Wangen und Hände und zerrte an ihren Haaren. Als sie den
Kragen ihres Gewandes aufreißen wollte, um ihre Brüste
bloßzulegen, gebot Tiro ihr Einhalt. Er wollte sie umarmen,
aber sie schlug ihm mit der flachen Hand ins Gesicht.
»Verstehst
du?« Ihr ganzer Körper bebte, als weine sie, aber aus
ihren funkelnden, fiebrigen Augen flössen keine
Tränen.
»Ja«,
sagte ich. Tiro saß neben ihr und schüttelte noch immer
verwirrt den Kopf.
»Verstehst du es
wirklich?« Eine einzelne Träne rann über ihre
Wange.
Ich schluckte und
nickte langsam. »Wann hat es angefangen?«
»Als ich in
Minoras Alter war. Deswegen -« Sie schluchzte auf und konnte
nicht weitersprechen.
»Minora - die
Kleine, deine Schwester?«
Sie nickte. Endlich
begriff auch Tiro. Seine Lippen zitterten, und sein Blick wurde
düster.
»Und das ist
deine Rache - seinen Feinden zu helfen, wo du nur
kannst.«
»Lügner! Du
hast doch gesagt, du verstehst! Keine Rache -
Minora...«
»Dann um deine
kleine Schwester vor ihm zu retten?«
Sie nickte und wandte
voller Scham ihr Gesicht ab. Tiro beobachtete sie mit einem
Ausdruck völliger Hilflosigkeit, zappelte mit den Händen,
als ob er sie berühren wollte, sich aber nicht traute. Ich
konnte es nicht ertragen, beide auf einmal anzuschauen, und wandte
meinen Blick in den leeren, endlosen, brütenden Himmel
über mir.
Ein Luftzug, dem sich
die Blätter erst raschelnd entgegenstellten, bevor sie sich
ergaben, wehte durch den Park. Irgendwo weit weg rief eine Frau,
dann war es wieder völlig ruhig. Inmitten der Stille konnte
man noch immer das entfernte Murmeln der unter uns liegenden Stadt
hören. Über uns flog ein einzelner Vogel und teilte den
Himmel.
»Wie sind sie an
dich herangetreten? Woher haben sie es
gewußt?«
»Ein Mann... es
war hier... eines Tages.« Sie schluchzte nicht mehr, aber
ihre Stimme war dünn und brüchig. »Seit unserer
Ankunft in der Stadt bin ich jeden Nachmittag hierhergekommen. Es
ist der einzige Ort, der mich an zu Hause erinnert, an das Land.
Eines Tages kam ein Mann - sie müssen Caecilias Haus
beobachtet haben, und sie wußten, daß ich seine Tochter
war. Zuerst hat er mir angst gemacht. Dann haben wir geredet.
Geplaudert, wie er es nannte, damit es harmloser klang, als er
über meinen Vater redete, als sei er nur ein neugieriger
Nachbar. Er muß sich ja für so raffiniert gehalten
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