Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Das Lächeln des Cicero

Das Lächeln des Cicero

Titel: Das Lächeln des Cicero Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Steven Saylor
Vom Netzwerk:
tiefroter Teppich. Es floß
unter meine Füße. Ich versuchte, einen Schritt nach vorn
zu machen, war aber wie festgewachsen, unfähig, mich zu
bewegen oder auch nur zu sprechen, starr wie eine
Leiche.
    Ich öffnete die
Augen, aber - nichts schien sich zu ändern. Alles, was ich
sah, war eine rote Flut. Mir wurde klar, daß meine Augen
immer noch geschlossen waren und ich gegen meinen Willen
weiterträumte. Ich hob die Hand, um meine Augen mit den
Fingern zu öffnen, aber die Lider blieben fest geschlossen.
Ich kämpfte, keuchend und außer Atem, ohne mich aus dem
Traum reißen zu können.
    Im nächsten
Augenblick war ich dann auf einmal wach. Meine Augen waren offen.
Meine Hände waren auf dem Tisch. Tiro saß mir
gegenüber und schlief friedlich.
    Mein Mund war trocken
wie Alaun. Mein Kopf fühlte sich an wie mit Wolle ausgestopft.
Mein Gesicht und meine Hände waren taub. Ich versuchte, nach
dem Wirt zu rufen, brachte jedoch kaum einen Ton heraus. Es war
sowieso egal; der Mann war selbst auf einem Stuhl in der Ecke
eingedöst, die Arme verschränkt und das Kinn auf der
Brust.
    Ich stand auf. Meine
Glieder fühlten sich an wie trockenes Holz. Ich taumelte auf
den Eingang zu, die Treppe hoch, auf die Gasse und um die Ecke auf
den Platz. Er lag jetzt völlig verlassen im blendenden
Sonnenlicht; selbst die Bengels waren verschwunden. Ich schleppte
mich zu der Zisterne, kniete mich nieder und starrte ins Schwarze.
Das Wasser war zu tief unten, um ein Spiegelbild
zurückzuwerfen, aber ich spürte die aufsteigende
Kühle im Gesicht. Ich zog den Eimer hoch, spritzte mir Wasser
ins Gesicht und goß den Rest über meinen
Kopf.      
    Danach fühlte ich
mich langsam wieder wie ein Mensch. Ich wollte nur noch zu Hause
sein und nichts tun, unter dem Portico sitzen und in den Garten
blicken, mit Bast, die an meinen Füßen döste, und
Bethesda, die mir ein kühles Tuch für meine erhitzte
Stirn brachte.
    Statt dessen
spürte ich eine zögernde Hand auf meiner Schulter. Es war
Tiro.
    »Alles in
Ordnung, Herr?«
    Ich atmete tief ein.
»Ja.«
    »Es ist die
Hitze. Die schreckliche, unnatürliche Hitze. Wie eine Strafe.
Sie macht einen ganz dumm im Kopf, sagt Cicero, und dörrt den
Geist aus.«
    »Komm, Tiro,
hilf mir auf die Beine.«
    »Du solltest
dich hinlegen und schlafen.«
    »Nein! Bei
dieser Hitze ist der Schlaf der schlimmste Feind des Menschen.
Bringt schreckliche Träume...«
    »Sollen wir
lieber zurück in die Taverne gehen?«
    »Nein. Oder
doch: ich nehme an, wir schulden dem Mann etwas für den
Wein.«
    »Nein. Ich habe
aus deiner Börse gezahlt, bevor ich gegangen bin. Er hat
selbst geschlafen, aber ich habe das Geld auf den Tresen
gelegt.«
    Ich schüttelte
den Kopf. » Und hast du ihn geweckt, bevor du gegangen bist,
damit ihn niemand bestiehlt, während er
schläft?«
    »Natürlich.«
    »Tiro, du bist
ein Ausbund an Tugendhaftigkeit. Du bist die Rose inmitten der
Dornen. Die süße Beere zwischen den stacheligen
Zweigen.«
    »Ich bin
lediglich ein Spiegel meines Herrn«, sagte er und klang dabei
eher stolz als bescheiden.

12
    Eine Weile wurde die
noch immer hochstehende Sonne von einem Band weißer Wolken
verhüllt, die aus dem Nichts aufgezogen waren. Die schlimmste
Hitze war vorüber, aber die Stadt gab jetzt nach und nach die
im Laufe des Tages gespeicherte Wärme ab, Pflastersteine und
Ziegel glühten wie Wände eines Ofens; wenn nicht ein
erneutes Gewitter sie abkühlte, würden die Steine die
ganze Nacht über Wärme abgeben und die Stadt und alle,
die in ihr lebten, ausdörren.
    Tiro drängte
mich, kehrtzumachen, eine Sänfte für meinen Heimweg zu
mieten oder doch zumindest zu Fuß zu Ciceros Haus
zurückzugehen. Aber es wäre unsinnig gewesen, sich dem
Haus der Schwäne so weit zu nähern, ohne ihm einen Besuch
abzustatten.
    Wir gingen ein
weiteres Mal durch die enge Straße, vorbei an der kleinen
Sackgasse, in der die Mörder gelauert hatten und die jetzt
wieder von der Tür des Lebensmittelladens verdeckt war. Aus
seinen düsteren Winkeln drang der übersüße
Geruch verdorbener Früchte; ich blickte nicht hinein. Wir
mieden den Blutfleck und passierten die Tür, die zu der
Wohnung der Witwe führte. Der hagere Wächter saß
dösend auf der Treppe. Als wir vorbeikamen, öffnete er
die Augen und sah uns erstaunt und übellaunig an, als ob unser
Gespräch bereits so lange zurückläge, daß er
unsere Gesichter schon wieder vergessen hatte. 
    Das Haus der
Schwäne lag sogar noch näher, als ich

Weitere Kostenlose Bücher