Das Lächeln des Cicero
Roscius
ermordet, sagt man.«
»Du hast ihn
gekannt, was?« Ich versuchte, weiterhin möglichst
beiläufig zu klingen. Der Wirt mochte vielleicht keinen
Verdacht schöpfen, aber der alte Mann tat es bestimmt. Das
konnte ich an der Art erkennen, wie er seine Lippen schürzte,
das Kinn langsam hin und her bewegte und konzentriert auf jedes
Wort lauschte.
»Den alten
Sextus Roscius? Nein. Also, so gut wie gar nicht. Er war hin und
wieder hier, als ich noch ein Junge war, stimmt’s nicht,
Vater? Aber in letzter Zeit kaum noch. Schon seit etlichen Jahren
nicht mehr. Ein verstädterter Römer mit weltgewandten
Manieren, das ist er geworden. Wahrscheinlich ist er noch manchmal
nach Hause gekommen, aber er hat nie hier haltgemacht. Hab ich
recht, Vater?«
»Narr«,
knurrte der alte Mann. »Fetter, tolpatschiger
Narr...«
Der Wirt wischte sich
erneut die Stirn, warf einen Blick auf seinen Vater und schenkte
mir ein verlegenes Lächeln. Ich betrachtete den Alten mit
aller falschen Zuneigung, die ich aufbringen konnte, und zuckte mit
den Schultern, als wollte ich sagen: Ich verstehe. Alt und
unmöglich zu ertragen, aber was soll ein guter Sohn schon
machen?
»Eigentlich
meinte ich den Sohn, als ich dich fragte, ob du diesen Roscius
kennst. Wenn es wahr ist, was man ihm vorwirft - naja, man
muß sich ja fragen, was ist das für ein Mensch, der ein
derartiges Verbrechen begehen könnte.«
»Sextus Roscius?
Ja, den kenne ich. Nicht gut, aber gut genug, um ihn auf der
Straße zu grüßen. Etwa in meinem Alter. An
Feiertagen ist er hierher auf den Markt gekommen. Und dann hat er
auch öfter mal dem blökenden Lamm einen Besuch
abgestattet.«
»Und was denkst
du? Konnte man es ihm ansehen?«
»Oh, er war
über den alten Herrn verbittert, keine Frage. Nicht daß
er dauernd davon gesprochen hätte, er war nicht der Typ, der
Reden schwingt, selbst wenn er schon ein paar intus hatte. Aber hin
und wieder mal ließ er ein Wort fallen. Andere Leute
hätten es wahrscheinlich gar nicht bemerkt, aber ich höre
zu, und ich höre so
manches.«
»Dann glaubst
du, er könnte es wirklich getan haben?«
»O nein. Ich
weiß mit absoluter Sicherheit, daß er es nicht
war.«
»Und
woher?«
»Weil er nicht
mal in der Nähe von Rom war, als es passiert ist. Oh, es gab
jede Menge Gerede, als die Nachricht vom Tod des Alten bekannt
wurde, und es gab jede Menge Leute, die bezeugen konnten, daß
Sextus seinen Haupthof in Ameria schon seit Tagen nicht mehr
verlassen hatte.«
»Aber man
beschuldigt den Sohn ja auch gar nicht, selbst zugestochen zu
haben. Angeblich hat er bezahlte Mörder
gedungen.«
Darauf wußte der
Wirt auch nichts zu sagen, war jedoch offensichtlich unbeeindruckt.
Er runzelte gedankenvoll die Stirn. »Merkwürdig,
daß du den Mord erwähnst. Ich war praktisch der erste,
der davon gehört hat.«
»Der erste in
Narnia, meinst du?«
»Der erste
überhaupt. Es war im letzten September.« Er starrte auf
die gegenüberliegende Wand und erinnerte sich. »Der Mord
ist nachts passiert; ja, so muß es wohl gewesen sein. Hier in
der Gegend herrschte kaltes Wetter, es ging ein böiger Wind,
und der Himmel war grau. Wenn ich abergläubisch wäre,
würde ich dir jetzt wahrscheinlich erzählen, daß
ich in jener Nacht einen bösen Traum hatte oder aufgewacht
bin, und ein Geist war im Zimmer.«
»Frevel!«
knurrte der alte Mann und schüttelte angewidert den Kopf.
»Kein Respekt vor den Göttern.«
Der Wirt schien ihn
nicht gehört zu haben und starrte noch immer in die Tiefen der
fleckigen Lehmwand. »Aber irgend etwas muß mich
aufgeweckt haben, denn ich war am nächsten Morgen sehr
früh auf den Beinen. Früher als gewöhnlich.
«
»Er war schon
immer ein Faulpelz«, murmelte der Alte.
»Warum sollte
ein Wirt früh aufstehen? Die Kunden kommen ohnehin meistens
erst am späten Vormittag. Aber an jenem Morgen war ich vor
Tagesanbruch wach. Vielleicht hatte ich etwas Schlechtes
gegessen.«
Der alte Mann
schnaubte und knurrte. » Etwas Schlechtes gegessen! Ist es zu
fassen?«
»Ich hab mich
gewaschen und angezogen. Ich hab meine Frau schlafen lassen und bin
die Treppe runter in diesen Raum gekommen. Über den
Hügeln sah man die ersten Streifen der Dämmerung. Es
hatte über Nacht aufgeklart; nur am Horizont im Osten stand
eine einzelne Wolke, die von unten in rotes und gelbes Licht
getaucht war. Und auf der Straße kam ein Mann aus
südlicher Richtung. Ich habe ihn als erster gehört - du
weißt doch, wie weit
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