Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Das Lächeln des Cicero

Das Lächeln des Cicero

Titel: Das Lächeln des Cicero Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Steven Saylor
Vom Netzwerk:
ist, dann muß der jüngere Sextus
Roscius enterbt worden sein.«
    »Ja, vermutlich.
Wir haben ihn schon seit geraumer Zeit nicht mehr hier in der
Gegend gesehen. Neuerdings erzählt man sich, daß er in
Rom bei der Patronin des alten Herrn wohnt. Na ja, offensichtlich
steckt mehr hinter der Sache, als man auf den ersten Blick
erkennt.«
    »Offensichtlich.
Wer hat denn dann die Güter des alten Mannes
aufgekauft?«
    »Dreizehn
Höfe hat er angeblich besessen. Nun, der alte Capito muß
auf jeden Fall als erster an der Reihe gewesen sein, denn er hat
die drei besten bekommen, einschließlich des alten
Familienstammsitzes. Man sagt, er hätte den jungen Sextus
persönlich rausgeschmissen, ihn mit einem Tritt vor die
Tür befördert. Aber der Besitz gehört jetzt ihm,
offen und ehrlich; er hat ihn auf der staatlichen Auktion in Rom
rechtmäßig ersteigert.«
    »Und die anderen
Höfe?«
    »Hat alle
irgendein reicher Bursche aus Rom gekauft; ich kann mich nicht
erinnern, seinen Namen je gehört zu haben. Hat wahrscheinlich
noch nie selbst einen Fuß nach Ameria gesetzt, bloß ein
weiterer Großgrundbesitzer, der die Gegend aufkauft. Wie dein
Auftraggeber bestimmt auch. Ist das dein Problem, Bürger,
Neid? Na, die Gans ist jedenfalls schon gründlich ausgenommen.
Wenn du nach gutem Land in Ameria suchst, mußt du wohl noch
ein bißchen weitersuchen.« 
    Ich warf einen Blick
durch die offene Tür. Von der Stelle, wo ich Vespa angebunden
hatte, warf ihr Schwanz einen seltsam in die Länge gezogenen
Schatten, der nervös über die staubige Türschwelle
zuckte. Die Schatten waren lang geworden; der Tag neigte sich
schnell seinem Ende zu, und ich hatte noch keinen Plan für die
Nacht. Ich nahm ein paar Münzen aus meiner Börse und
legte sie auf den Tisch. Der Wirt sammelte sie ein und verschwand
durch eine enge Tür in den hinteren Teil des Ladens, wobei er
sich seitwärts durch die Öffnung quetschen
mußte.
    Der alte Mann wandte
seinen Kopf und spitzte die Ohren, als er das raschelnde
Geräusch hörte. »Gierig«, murmelte er.
»jedesmal, wenn er eine Münze kriegt, trägt er sie
gleich in sein kleines Kästchen. Muß Stunde um Stunde
Buch führen, kann nicht warten, bis er die Taverne geschlossen
hat. Schon immer fett gewesen, ein gieriges Schweinchen. Er kommt
ganz nach der Mutter, nicht nach mir, wie man
sieht.«
    Ich ging leise
Richtung Tür, aber nicht leise genug. Der Alte sprang hoch und
baute sich vor mir auf der Schwelle auf. Er schien mir durch den
milchigen Schleier, der über seinen Augen lag, ins Gesicht zu
starren. »Du«, sagte er, »Fremder. Du bist nicht
hier, um Land zu kaufen. Du bist wegen dieses Mordes hier,
stimmt’s?«
    Ich mühte mich,
eine Unschuldsmiene aufzusetzen, bis mir wieder einfiel, daß
das nicht nötig war. »Nein«, sagte ich.
    »Auf wessen
Seite bist du? Auf Sextus Roscius’ oder auf Seiten seiner
Ankläger?«
    »Ich hab dir
doch schon gesagt, Alter -«
    »Ist es nicht
rätselhaft, daß ein alter Mann geächtet und sein
eigener Sohn anschließend dieses Verbrechens angeklagt werden
kann? Und ist es nicht merkwürdig, daß ausgerechnet der
elende Capito davon profitieren sollte? Und noch merkwürdiger,
daß eben dieser Capito der erste in ganz Ameria ist, der Wind
von dem Mord bekommt, und der Überbringer der nächtlichen
Nachricht ist Glaucia - der nur von einem Mann geschickt worden
sein kann, jenem niederträchtigen Magnus. Wie hat Magnus so
schnell von dem Vorfall erfahren, warum hat er einen Boten
losgeschickt, und wie kommt der in Besitz des blutigen Dolches?
Für dich ist der Fall ganz klar, oder nicht? Zumindest glaubst
du das.
    Mein Sohn erzählt
dir, der junge Sextus sei unschuldig, aber mein Sohn ist ein Narr,
und du wärest ebenso ein Narr, wenn du auf ihn hören
würdest. Er sagt, er hört alles, was in diesem Raum
gesprochen wird, aber er hört gar nichts; er ist viel zu
beschäftigt damit, selber zu reden. Ich bin derjenige, der
hört. Seit zehn Jahren, seit ich meine Augen verloren habe,
habe ich gelernt zu hören. Davor hab ich auch nie was
gehört - ich dachte, ich hätte gehört, aber ich war
taub, genau wie du taub bist oder jeder andere Mensch mit Augen
auch. Du würdest nicht glauben, was ich alles höre. Ich
höre jedes Wort, was in diesem Raum gesprochen wird, und sogar
ein paar, die nicht gesagt werden. Ich höre die Worte, die
Männer still vor sich hinflüstern, ohne sich bewußt
zu sein, daß ihre Lippen sich bewegen oder ihr Atem leise
Seufzer

Weitere Kostenlose Bücher