Das Lächeln des Leguans
das er vor allem
in sein Glas gelallt habe. Heftige Dinge, das zusammenhanglose Gefasel eines Trunkenboldes, das er ungern wiederholen wolle.
Und da mein Onkel es vorzog, zu schweigen, sprach Luc an seiner Stelle weiter und betete lauter Wörter herunter, die er sich
immer wieder hatte anhören müssen: Schlampe, Flittchen, Bastard … Wir waren bestürzt, während sich auf Lucs Miene ein wissendes Leguanlächeln abzeichnete. Er lief zum Ufer und schritt dort
auf und ab, und Mama ging zu ihm und legte einen tröstenden Arm um seine Schultern.
Hugues zog ein langes Gesicht. Bestimmt machte er sich Vorwürfe, zu viel gesagt zu haben. Und als ich ihm anvertraute, Luc
glaube daran, dass seine Mutter noch am Leben sei, wirkte er betroffen. Er murmelte etwas von Schmutz, den man lieber nicht
hätte aufrühren sollen, und nahm mir das Versprechen ab, gut auf meinen Freund aufzupassen. Dann schlüpfte er in sein Zelt.
Nachdem Mama sich ebenfalls zurückgezogen hatte, ging ich zu Luc ans Wasser. Er schleuderte Kiesel in Richtung der Lichter
der Stadt, und ich tat es ihm nach, um zu sehen, wer besser warf. Luc war nicht gerade gesprächig,aber ich wusste, was ihm durch den Kopf ging: Möglicherweise war der Schweinehund nicht sein leiblicher Vater. Ein anderer
Mann im Leben seiner Mutter? Andere Gene als die so verhassten des Schweinehunds? Ein anderer, ihm unbekannter Vater? Mit
dem Chantal heute vielleicht zusammenlebte?
Sein Blick heftete sich auf die horizontal verlaufende Sternenkette von Villeneuve. Er schleuderte einen Stein in Richtung
des Hafens mit seinen hell erleuchteten Silhouetten, und ich wusste, dass sein unsichtbares Ziel das Seemannsheim war, das
Hugues erwähnt hatte.
*
Durch nichts hätte Luc sich von dem lodernden Pfad, der in den Dschungel seiner Vergangenheit geschlagen worden war, abbringen
lassen. Heute Morgen haben wir gleich nach Hugues’ Abreise den Bus nach Villeneuve genommen und sind im Schatten des großen
Sonnensegels auf dem Vieux Quai, am Rande der Bucht, ausgestiegen. Das Seemannsheim ist ein weißes Gebäude in der Nähe der
Hafenbehörde. Es ist eine Anlaufstelle mit seelsorgerischer Funktion. An der Tür heißt ein Schild in sechs Sprachen jedermann
willkommen und kündigt die Uhrzeiten für die Gottesdienste an. Wir öffneten sie und betraten einen Raum mit lauter alten Sesseln,
Automaten und einem Fernseher, in dem eine amerikanische Quizsendung ohne Ton lief. Es war niemand zu sehen. Am anderen Ende
des Raumes befanden sich ein Altar auslackiertem Holz, der vermutlich bei der Messe verwendet wurde, sowie ein Flur mit drei Türen, den wir nun betraten. Die erste
Tür führte in einen großen Raum mit zwei Billardtischen und einem Dartspiel, die zweite in ein unbesetztes Büro. Hinter der
dritten war das Klappern von Geschirr zu hören. Wir blieben auf der Schwelle stehen. Es war die Küche. Eine Frau stand mit
dem Rücken zu uns, über ein schäumendes Becken gebeugt. Ich spürte, wie Luc zusammenfuhr. Er war bleich wie ein Laken, und
einen Augenblick lang dachte auch ich, dass sie es sei … Dass sie sich all die Jahre, an ihr Spülbecken gekettet, hier versteckt habe, wegen längst vergangener Verfehlungen dazu
verdammt, bis in alle Ewigkeit schmutzige Teller zu schrubben. Als die Frau sich umwandte, verflogen alle Illusionen, denn
sie war mindestens fünfzig und hatte nicht die geringste Ähnlichkeit mit Chantals Porträt. Sie fragte, was wir hier zu suchen
hätten. Ich erklärte ihr, wir seien auf der Suche nach einer gewissen Chantal Bouchard, die vor elf Jahren hier gearbeitet
hätte. Der Name sagte der Dame, die erst seit sechs Jahren im Haus beschäftigt war, jedoch nichts. Sie schlug uns vor, am
späten Nachmittag noch einmal herzukommen und uns bei Pater Miron, dem Leiter des Heims, nach ihr zu erkundigen. Ich zog Luc
mit mir nach draußen. Ein tüchtiger Schluck Seeluft brachte ihn wieder zu sich. Wir beschlossen, auf Pater Miron zu warten,
und schlenderten über die Kais, um uns die Zeit zu vertreiben.
Als wir drei Stunden später zum Seemannsheim zurückkehrten,war dort kurz zuvor eine italienische Schiffsbesatzung eingetroffen. Der Raum wimmelte nur so vor Typen in Matrosenanzügen,
die lauthals palaverten und Billard spielten, bevor sie in die Stadt ausschwärmen würden. Wir warteten eine Weile vor Pater
Mirons Büro, der gerade einem Matrosen die Beichte abnahm. Nachdem er diese frisch
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