Das Lächeln meiner Mutter
schön, aber ungerecht fand. Sie wiederholte es: Das ist ungerecht. Ich ging mit ihr in ein anderes Zimmer und versuchte ihr zu sagen, ich könne es verstehen, dass das Buch schmerzlich für sie sein könne, und es tue mir leid, doch mir scheine, das Buch zeige auch, falls dies überhaupt gezeigt werden müsse, wie sehr ich sie liebe. Lucile protestierte mit einem Aufschluchzen: Nein, das sei nicht wahr, selbst in ihrer schlimmsten Benommenheit sei sie nicht so. Ich sah sie an und sagte: Doch.
Ich sagte ihr nicht, dass sie schlimmer gewesen war, schlimmer als so.
An jenem Abend gingen wir nicht aus, ich wollte sie nicht so betrunken mit meinen Kindern allein lassen. Lucile blieb zum Abendessen bei uns.
Danach war ich ihr dankbar dafür, dass sie die Existenz dieses Buches akzeptierte und mit Interesse verfolgte, wie es aufgenommen wurde. Einige Jahre später sagte sie mir einmal, sie habe es noch einmal gelesen und sei beeindruckt von meinem Können.
Lucile wollte, ob aus Schüchternheit oder aus Schamhaftigkeit, nie zu einer meiner Lesungen oder zu einer Signierstunde in einer Buchhandlung kommen, selbst wenn diese ganz bei ihr in der Nähe stattfanden. Auch nicht später, bei meinen anderen Büchern. Ich glaube, sie hatte Angst, verurteilt zu werden, als hätten alle Leute meinen ersten Roman gelesen und würden sie deshalb auf den ersten Blick erkennen und mit dem Finger auf sie zeigen.
Bei jedem meiner Bücher zeigte sich Lucile sehr umsichtig und wohlwollend, und so ging sie mit allem um, was ihrer Ansicht nach zu meinen Privatangelegenheiten gehörte. Lucile war keine von denen, die anderen ihre Kommentare aufdrängen. Doch hat sie oft meine heikelsten Entscheidungen mit einem Wort oder einem einzigen Satz gebilligt.
Habe ich, ohne es zu wissen, Luciles Wünsche übernommen? Ich weiß es nicht. Als ich zum ersten Mal ein Buch veröffentlichte, hatte ich nicht das Gefühl, etwas geschafft zu haben, wovon sie geträumt hatte, und ich fühlte mich auch nicht in einer Fortsetzung von etwas Abgebrochenem oder Unfertigem. Bei keinem unserer Gespräche hat Lucile je eine Verbindung oder eine Entgegensetzung zwischen meinem und ihrem Wunsch zu schreiben hergestellt, und sie hat all ihre Veröffentlichungsversuche geheim gehalten. Mir scheint, für sie wie für mich war es etwas anderes.
Luciles Schreiben ist unendlich viel dunkler, rätselhafter und subversiver als meins. Ich bewundere ihren Mut und das Wetterleuchten ihrer Poesie.
Manchmal habe ich gedacht, dass Lucile, wenn sie nicht krank gewesen wäre, mehr geschrieben und ihre Texte vielleicht veröffentlicht hätte.
Ich erinnere mich an ein von France Inter ausgestrahltes Interview mit Gérard Garouste, das mich sehr beeindruckt hat. Der Maler sprach sich deutlich gegen die gängige Vorstellung aus, wonach ein guter Künstler verrückt sein muss. Als Beispiel nannte er van Gogh, über den es gewöhnlich heißt, sein Genie sei von seinem Wahnsinn nicht zu trennen. Garouste zufolge hätte van Gogh ein weit umfangreicheres Werk hinterlassen, wenn er die Medikamente hätte nehmen können, die der heutigen Psychiatrie zur Verfügung stehen. Eine Psychose ist ein schweres Handicap, für einen Künstler wie für jeden anderen.
Heute haben nur meine Schwester und ich Zugang zu Luciles Texten, zu deren Schmerz und Verwirrung.
Diese Texte rufen mich zur Ordnung und konfrontieren mich ständig mit der Frage, welches Bild ich, manchmal unwillkürlich, in meinem Schreiben von ihr zeichne.
Wenn ich von ihrer Wiedergeburt schreibe, dann ist es mein Kindertraum, der wieder auftaucht, der von meiner zur Heldin erhobenen Mutter Courage: »Lucile ließ die Stunden, die sie bei den Schatten verbracht hatte, hinter sich. Lucile, die nie am Seil hatte hochklettern können, zog sich aus der Tiefe, und niemand wusste eigentlich, wie, dank welchem Schwung, welcher Energie, welchem letzten instinktiven Lebenswillen.« Beim genauen Wiederlesen kann ich die Idealmutter nicht übersehen, die wider meinen Willen über den Zeilen schwebt. Als wäre es nicht genug, dass die Idealmutter sich so ungebeten aufdrängt, sie tut es auch noch im Ton billiger Lyrik.
Ja, Lucile kam schließlich aus einem zehn Jahre dauernden Zustand des Stumpfsinns und der Betäubung heraus. Ja, Lucile fing wieder an zu lernen, bestand eine Prüfung, fand eine Zuflucht. Lucile wurde eine exzellente Sozialarbeiterin, engagiert und sehr effizient. Das ist keine Lüge, doch es ist nur ein
Weitere Kostenlose Bücher