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Das Lächeln meiner Mutter

Das Lächeln meiner Mutter

Titel: Das Lächeln meiner Mutter Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Delphine de Vigan
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einzusetzen und kamen schließlich wieder zusammen. Dann spulte Doktor Baramian das Band zurück und spielte ihnen die Aufnahme vor. Lucile glaubte, der Arzt mache ihnen nur etwas vor. Sie konnte es nicht glauben. Das war nicht möglich, das waren nicht ihre Stimmen. Doch dann kam der Moment, als sie gestockt hatten, Lisbeths Lachen, ihre Schwierigkeiten, an der richtigen Stelle weiterzumachen, und nun konnte es keinen Zweifel mehr geben: Doktor Baramian war ein Zauberer.
     
    Seit der Rückkehr aus den Sommerferien kam ein- oder zweimal in der Woche eine Dame aus dem Viertel und half Liane beim Sockenstopfen, Säumen und Flicken. Sie bekam den Spitznamen Madame Couture und aß jeden Donnerstag mit der Familie Poirier zu Mittag. Lucile betrachtete Madame Couture sehr genau, ihre zerknitterte, schlaffe Haut voller winziger Krater, das schüttere Haar. Lucile fragte sich, ob sie sich eines Tages, nachdem sie so ausgesehen haben würde wie Gilberte Pasquier, ebenfalls in eine gebeugte und verhutzelte alte Dame verwandeln würde, die niemand mehr ansähe. Dann könnte sie endlich nach Belieben kommen und gehen, wäre unsagbar leicht und fast durchsichtig. Dann hätte sie keine Angst mehr, vor gar nichts.
    Madame Couture trug einen kleinen Schnurrbart und ein wenig Flaum am Kinn. Nicht selten kam es vor, dass beim Kauen ein Brotkrümel oder irgendein anderes Speisefragment aus ihrem Mund geriet und in dessen Nachbarschaft hängenblieb. Eines Donnerstags, als ein Reiskorn schon mehrere Minuten lang über ihrer Oberlippe gezittert hatte, wies Barthélémy sie mit einer sprechenden Geste darauf hin und sagte:
    »Schmoulz, Madame Couture!«
    Lucile lächelte. Sie liebte neue Wörter. Dieses hatte sofort großen Erfolg bei den Geschwistern, sein Nachleben war von Anfang an gesichert. (Noch heute bedeutet
Schmoulz
bei sämtlichen Nachfahren von Liane und Georges und, via Kapillarwirkung, auch vielen Freunden dieser Nachkommen ein mehr oder minder gut durchgekautes Speisepartikelchen, das noch im Mundwinkel oder am Kinn klebt.)
     
    Georges, der von seiner Berufstätigkeit mehr und mehr in Anspruch genommen wurde, sah nicht viel von seinen Kindern. Er kam abends spät nach Hause, wenn der Lärm nachgelassen hatte und sie bald zu Bett mussten. Dann küsste er sie zärtlich auf die Stirn, während Liane von den wichtigsten Ereignissen des Tages erzählte. Sonntags weckte er sie früh, ließ sie eines nach dem anderen in seinen Peugeot 202 klettern, und zwar nach einer festgelegten Ordnung, damit sie alle in den Wagen passten, und machte sich mit ihnen in andere Landschaften auf. Lucile sah das Defilee der Straßenbäume und die Namen der Städte auf den Schildern an der Route nationale. Sie liebte dieses Gefühl der Flucht. Im Wald von Rambouillet oder dem von Fontainebleau trafen sich die Poiriers mit anderen Familien und veranstalteten immer größere Spiele. Georges fehlte es weder an Mitverschworenen noch an Phantasie. Er liebte Schatzsuchen, Rätsel-Rallyes und Schnitzeljagden. Nach dem Picknick, wenn sich ihre Geschwister mit einem einzigen Freudenschrei in alle Richtungen zerstreuten, ging Lucile langsam über die Waldwege, vorsichtig, auf jedes Geräusch achtend, das trockene Laub kaum mit den Füßen berührend, und sah sich bei jedem Schritt nach hinten um.

[home]
    D er Mann, den ich liebe und dessen Liebe sich manchmal an meiner Abwesenheit stößt, war vor einiger Zeit, als er mich diese Arbeit in Angriff nehmen sah, besorgt. Jedenfalls schließe ich das aus seiner Frage, die er mit einer gewissen Vorsicht stellte: Ob ich
das
schreiben müsse. Worauf ich, ohne zu zögern, mit einem Nein antwortete. Ich müsse schreiben, und ich könne nichts anderes schreiben, nichts anderes als
das.
Ein wichtiger kleiner Unterschied!
    So war es immer mit meinen Büchern, die sich im Grunde von sich aus aufdrängten, aus dunklen Gründen, die ich manchmal erst herausfand, wenn der Text längst abgeschlossen war. Jenen, die die Gefahren fürchteten, die eine solche Baustelle so kurz nach dem Tod meiner Mutter für mich bedeuten konnte, antwortete ich selbstgewiß, nein, gar nicht, aber von wegen. Heute – da ich mich noch nicht einmal auf der Hälfte des langen Projektes befinde, in dem ich mich verheddert habe (fast hätte ich geschrieben, des großen Misthaufens, durch den ich mich unbedingt wühlen wollte) – weiß ich, wie sehr ich meine Kräfte überschätzt habe. Heute kenne ich den Zustand besonderer Spannung, in den mich

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