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Das Lächeln meiner Mutter

Das Lächeln meiner Mutter

Titel: Das Lächeln meiner Mutter Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Delphine de Vigan
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ihre Haut, die nicht mehr so glatt war, den schrecklichen Pickel auf dem Kinn. Sie trat einen Schritt zurück. Ihr Körper hatte sich verändert, unter der Bluse wurden bereits ihre Brüste sichtbar, etwas, worauf Lisbeth noch vergeblich wartete, dabei war sie zwei Jahre älter als sie. Sie zwang sich zu einem Lächeln, um zu sehen, ob sie es noch konnte, sie sah sich an, wie sie nachher das Objektiv ansehen würde, frontal, dann im Dreiviertelprofil, leicht zur Seite gedreht, ja, sie konnte noch lächeln, sogar lachen und verschiedenen Gesichtsausdruck aufsetzen, auch wenn sie absolut keine Lust dazu hatte.
    Die Kleinen in der Diele wurden zappelig. Sie wollten schnell hin, Kleider, Strumpfhosen, Hüte anziehen, vor allem Violette machte es Spaß, fotografiert zu werden, zu posieren, neue Schuhe anzuprobieren. Vielleicht würden sie auch dieses Mal ein oder zwei Kleider behalten dürfen, wenn Madame Richard es ihnen erlaubte. Lucile kam schließlich aus dem Badezimmer, wenn auch schlurfend, und knöpfte sich bewusst langsam den Mantel zu.
    »Meine Königin, wenn Sie nicht mehr hinwollen, brauchen Sie nicht mehr hin. Aber für heute ist der Termin vereinbart, und Madame Richard rechnet mit Ihnen, mit Ihnen und Ihren Schwestern. Den Pingouin-Katalog, den haben Sie doch schon einmal gemacht. Die Fotos waren wunderbar!«
    Liane hielt ihrer Tochter ein paar Metrofahrkarten hin, Lucile stopfte sie achtlos in die Manteltasche.
    »Wenn es nicht regnet, kommen Sie zu Fuß zurück, dann sparen wir die Fahrkarten.«
    Lucile nickte und öffnete die Tür. Liane küsste die beiden Kleinen und nahm ihnen das Versprechen ab, dass sie bei Madame Richard brav sein und jede ihrer Anweisungen genau befolgen würden, ohne zu jammern oder sich das Haar zu verstrubbeln.
     
    Unten vor dem Haus angelangt, sah Lucile ihr Spiegelbild in einem Schaufenster. Sie war fett, das war’s. Fett und hässlich. Sie hatte keine Lust hinaufzugehen, Madame zu sehen und irgendetwas anzuziehen, was immer es sein mochte. Sie atmete tief durch und drückte auf den Türöffnerknopf. Die Tür ging auf, und die Kleinen stürzten hinein und rannten zum Aufzug.
     
    Madame Richard öffnete die Tür und empfing Lucile sehr herzlich. Sie sei ja eine junge Dame geworden, und das in wenigen Monaten! Und immer noch so schön! Dann beugte sie sich über die Kleinen, küsste sie auf die Wangen und sagte ihnen, sie könnten die Mäntel ausziehen. Sie gratulierte Violette zur
Germalyne
-Werbekampagne, zu deren Gesicht sie geworden war, Violette lächelte in allen Pariser Apotheken von Werbetafeln und -postern.
    »Deine Mutter ist sicher stolz auf dich …«
    Violette nickte ein wenig großspurig, was Madame Richards Herz völlig zum Schmelzen brachte.
    »Zuerst ist Lucile an der Reihe, und danach macht ihr beide zusammen Fotos. Nadine wird euch die Kleider geben, die ihr anziehen sollt. Aber jetzt wascht euch erst einmal die Hände!«
     
    Lucile ging in den Ankleideraum, ihr war kalt, und sie zögerte den Moment des Ausziehens hinaus. Vom Ankleideraum aus konnte sie ins Studio sehen. Scheinwerfer und Kulisse waren bereits aufgebaut. Madame Richard bat sie, sich zu beeilen, es waren mehrere verschiedene Aufnahmen geplant, sie dürften nicht trödeln. Sie gab Lucile einen schwarzweißen Rollkragenpullover, den diese vorsichtig auseinanderfaltete, und dann einen Faltenrock auf einem Bügel. Madame Richard stand einen Augenblick lang da, bis ihr klarwurde, dass Lucile sich nicht vor ihr ausziehen wollte. Lachend ging sie hinaus.
    »Du hättest es mir sagen sollen, meine Hübsche, du bist wirklich groß geworden!«
     
    Lucile zog die Sachen an. Da es keinen Spiegel gab, konnte sie sich nicht von vorn sehen, nur von oben, und so fand sie sich schrecklich. Es waren scheußliche Kleidungsstücke, und sie machten sie dick. Vor allem der Rock, der überhaupt nicht zu ihrem Alter passte, sie sah darin aus wie eine Nonne. Sie ging ins Studio und stellte sich vor den grauen Hintergrund, damit der Fotograf seine Einstellungen vornehmen konnte. Sobald er damit fertig war, folgte sie seinen Anweisungen, wechselte mehrmals den Winkel und die Position, zog andere Kleidungsstücke an, spielte vor der Linse mit einem Reifen. Nie zuvor in ihrem Leben hatte sie sich derart tapsig gefühlt, so von dem grellen Licht entblößt und durch Kleidungsstücke behindert, die ihr nicht standen. Später kamen ihre Schwestern dazu, die für gemeinsame Fotos verschiedene Pullover und Strickwesten

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