Das Lächeln meiner Mutter
dass ich mich, was immer geschehen würde, schon aus allen Schwierigkeiten herauswinden würde.
Mitten in den Siebzigerjahren war Yerres für uns der Beginn eines neuen Lebens, der in meiner Erinnerung von einem seltsamen hellen Schein umgeben ist. Lucile und Tibère strichen das Parkett im Wohnzimmer weiß, und die Matratzen, die, auf den Boden gelegt, als Sofas dienten, wurden grün gefärbt. Nach und nach füllte sich unser Haus mit einer fröhlichen, unberechenbaren Unordnung, die zu unserer Lebensweise passte, und die wenigen Verbote hatten mehr mit dem Wetter oder schlechter Laune zu tun als mit Anstandsregeln. Wir durften die Ellbogen auf den Tisch stützen und die Teller ablecken, an die Wand malen, nach Belieben kommen und gehen, und wir verbrachten die meiste Zeit draußen bei den anderen Kindern. Wir fürchteten uns vor Monsieur Z., der gegenüber wohnte und von dem es hieß, er hasse Lärm und würde bedenkenlos sein Gewehr hervorholen, vor dem heimtückisch wirkenden gelben Hund, der aus dem Nichts auftauchte und mit gesenktem Schwanz um die Häuser strich, und vor dem Exhibitionisten, der eines Winterabends, als wir aus dem Kulturzentrum kamen, hinter einem Busch hervortrat. Dennoch erweiterte sich unser Territorium unablässig.
Abends kamen Freunde und Freunde von Freunden zum Essen oder auf ein Glas oder einen Joint. Das Wohnzimmer war von dichtem Rauch erfüllt. Unsere Ernährung bestand vornehmlich aus Hörnchennudeln und Spaghetti mit oder ohne Tomatensauce, wir hatten einen, ebenfalls grün gestrichenen Peugeot 403 . Lucile fuhr jeden Tag nach Paris, Tibère spazierte nackt durchs Haus, klaute im Coop-Laden abgepackte Braten und spielte den Hausmann, wenn er gerade nicht fotografierte.
Im Viertel begann das Gerücht zu kursieren, unser Haus sei ein Schlupfwinkel für Hippies und Drogensüchtige, das sagte man mir auch in der Schule, doch ich konnte mir keinen Reim darauf machen. Wir waren anders, wir glichen den anderen Familien nicht, das Übrige ging über meinen Horizont hinaus und hatte keinerlei Bedeutung für mich. Jeden Donnerstagmittag war ich bei einem Mädchen aus meiner Klasse zum Essen eingeladen, und die Mutter brüstete sich, bei ihr bekäme ich das einzige Steak in der Woche zu essen. Als Lucile davon erfuhr, durfte ich nicht mehr hin.
Wir machten bald Bekanntschaft mit den Ramauds im Nachbarhaus, einer Familie mit sieben Kindern, die von ihrer Mutter aufgezogen wurden. Zwischen ihrem und unserem Haus ergab sich eine Art freier Güter- (Nachmittagsimbisse, Spiele, Stifte, Puppen) und Personenverkehr, der sich über mehrere Jahre erstreckte. Ich träumte davon, einen BH zu tragen wie Estelle, die älteste Tochter, und genauso viel Anklang bei den Jungs zu finden wie sie.
Wir fanden uns mehr oder weniger nach dem Alter zusammen, und manchmal spielten wir sogar alle zusammen große Spiele. Ich übte mit meinen Freundinnen ständig die Choreographien von Claude François, sie waren der Clou der Gratis-Vorstellungen, die wir auf der großen gemeinsamen Wiese gaben.
Sandra lebte in einem der Wohnblocks der Siedlung. Die Eltern erlaubten ihr trotz der Gerüchte, uns zu besuchen und sogar über Nacht zu bleiben. Sie war meine erste Kindheitsfreundin. Wie einige andere Kinder aus dem Viertel ging Sandra mittwochs zum Kommunionsunterricht. Dort gab es bretonischen Rührkuchen und Orangensaft, so viel man wollte. Ich wollte auch dorthin gehen, doch Lucile erlaubte es mir nicht.
Auf unsere Weise lebten wir ein geregeltes Leben, die Dinge wiederholten und glichen sich, Lucile arbeitete in Paris, Tibère kaufte ein und kümmerte sich um das Haus.
Jedes zweite Wochenende holte Gabriel uns ab. Er stellte seinen BMW vor dem Haus ab und erwartete uns auf der Straße, wir fühlten uns wie die Königinnen der Welt.
In den kürzeren Ferien und an den Wochenenden fuhren wir manchmal nach Pierremont, wo Liane und Georges inzwischen wohnten. Meine Großeltern hatten nach dem Konkurs von Georges’ Agentur Versailles verlassen, und bis auf Tom waren alle Geschwister von Lucile aus dem Haus.
Als ich sieben wurde, nahm mich Lucile mit nach London. Ich weiß nicht, was der Anlass für diese Reise war, vielleicht das reife Alter, das ich erreicht hatte. Auf dem Flohmarkt auf der Portobello Road entdeckte Lucile unter den Klamotten zwei Tergal-Miniröcke (einer in Rosa, der andere in Grün, beide leicht ausgestellt) und kaufte sie mir. Ich trug sie, bis sie nur noch halb über
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